Tagebuch einer Auswanderin - September: Der Umzug
Grüße gehen raus an Adrian Plass für die Formatidee mit seinem Buch "Tagebuch eines frommen Chaoten". Sehr zu empfehlen! ;)
01/09/21
Der letzte Monat ist angebrochen. 9 Monate bin ich jetzt erst in Berlin und trotzdem sitze ich wieder auf gepackten Koffern. Naja. Eigentlich ist in meiner Wohnung noch herzlich wenig gepackt. Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass ich das ganze Zeug in Kartons packen oder los werden muss, fange ich wieder an zu seufzen und beschäftige mich schnell wieder mit anderen Dingen, um die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Etwas sagt mir, dass das auf Dauer eventuell nicht die beste Taktik sein könnte.03/09/21
Ich habe Besuch. Wieder eine tolle Ausrede, um nicht am Projekt Umzug arbeiten zu müssen. Am Montag fange ich aber bestimmt an.
06/09/21
Gute Neuigkeiten. Am Samstag kamen die Dokumente für das Visum an, deshalb konnte ich heute zur japanischen Botschaft gehen und den Antrag stellen. Die Reise war eine kleine Odysee und mitten auf auf einer Kreuzung blieb auf einmal der Bus stecken, weil wieder ein Lieferwagen zweite Reihe geparkt und damit die Straße blockiert hatte. Ich habe mir nach 5 Minuten andauernden Hupens von Seiten des Busfahrers die Freiheit genommen, die letzten Meter zu meiner Station zu laufen. Enttäuschend wenig Japaner in der Botschaft getroffen (0). Dafür war das Wartezimmer so japanisch eingerichtet, dass ich mich dann doch noch wie zuhause fühlen konnte.
Gepackt habe ich heute dann doch nicht. Aber immerhin die Nachbarschafts-App runtergeladen. Ein Anfang!
13/09/21
Man weiß immer erst, wie viel einem etwas bedeutet, wenn man es los lassen muss. Und man weiß immer erst wie viel man besitzt, wenn man versucht, es loszuwerden. Woher habe ich dieses ganze Zeug?
17/09/21
Ich will nicht so tun als wäre ich ein ordentlicher Mensch, oder würde mich besonders durch meine Aufgeräumtheit hervortun. (Weder seelisch noch äußerlich) Trotzdem fühle selbst ich mich in dieser Wohnung nicht mehr wohl, aber ich habe auch nicht genügend Kraft zwischen den ganzen Kartons noch ständig aufzuräumen. Jeder Besucher wird daher mit den freundlichen Worten begrüßt: Willkommen im Chaos!
20/09/21
Es tun sich langsam Lücken auf. Es fing mit den Büchern an. Als hätten meine Regale Buchausfall. Dann waren die Sitzgelegenheiten dran. Am Samstag haben sie uns die Eckbank unter dem Hintern weggekauft. Aber ich beschwere mich nicht. Es muss ja weg. Das Herz wird mir trotzdem etwas schwer.
23/09/21
Ich habe vor ein paar Tagen einen Termin beim BSR für den Sperrmüll ausgemacht, nur um ihn heute wieder abzusagen. Ich bin zwar etwas enttäuscht, dass ich meine Möbel nur für umsonst wieder unter Menschen bringe, aber bevor ich dafür bezahle, dass man sie mir abnimmt, gebe ich sie lieber gratis raus. Ich glaube, wenn ich anfange darüber nachzudenken, was ich alles aufgebe, heule ich. Also denke ich nicht nach.
26/09/21
Wirkungsort der Demokratie: Wahllokal 307 |
27/09/21
Der Countdown läuft. Mein erster Schritt als Auswanderin war die Auswanderung aus meiner Wohnung ins Gästezimmer von Matthias & Tanja. Dort wo ich meine ersten Tage in Berlin verbracht habe, verbringe ich auch meine letzten. Ab heute habe ich auch keine Stühle mehr.
28/09/21
Mein "Wohnzimmer" hat den Zenit an Unordnung erreicht. Von einer Skala von 1 bis Messi bewege ich mich gerade auf einer soliden Tohuwawohu. Meine Möbel sind Kisten gewichen und mein Boden ist unter dem ganzen Zeug in Tarnmodus gegangen.
Und die Erde war wüst... |
29/09/21
Irgendein Vollidiot hat meinen Wecker auf 6 Uhr gestellt und seit Sonntag vergessen, ihn wieder zurück zu stellen. Ich spüre, wie sich die Augenringe langsam in meine Wangen graben. Morgen muss hier alles geschafft sein und gerade bin ich die Einzige, die geschafft ist. Dass ich mein riesiges Bett nicht loswerde, hilft nicht unbedingt beim Entspannen. Und da ich es heute noch in Einzelteile zerlegt habe, ist damit auch der letzte Rest Gemütlichkeit aus meiner Wohnung gewichen.
30/09/21
Der letzte Blick... |
Die Mission: Umzug
Deadline: 16:00 Uhr
Helfer: Mein Vater & Will
Chancen zu überleben: gering
Wer meine Wohnung am Anfang dieses Tages gesehen hat, der hätte wohl nicht gedacht, dass wir sie in dieser Zeit noch ausräumen und sauber hinterlassen würden. Aber das Wunder ist geschehen. Mein Körper hat in den letzten Tagen eine sehr ungute Abneigung gegen Schlaf entwickelt, wie es scheint. Mit der gehörigen Dosis Koffein im Blut habe ich es dann doch noch die ganze Strecke bis Hessen geschafft.
Ende September
Fortsetzung folgt
Liebe Mirja,
AntwortenLöschenwie schön, von dir zu lesen. Du kannst echt schreiben. :-)
Tohuwabohu ...?! Das war doch dieser Zustand, wo Gottes-Geist-Sturm-Kraft mit all ihren Möglichkeiten und unerschöpflichem Schöpfungspotenzial über dem Chaos schwebt/bebt/zittert. Und wo kurz danach lauter wunder-volles Neues ins Leben gerufen wird!
Ich wünsch dir von Herzen, dass du das auch so erlebst.
Viel Segen dir/euch für alles Neu-Anfangen!
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