Lerne die guten Eigenschaften desjenigen zu schätzen, der dich liebt. - Ein chinesischer Glückskeks



"Ich danke Ihnen... Ich danke Ihnen... von ganzem Herzen." Die knochigen Hände der alten Frau umschließen meine Hände mit einer Kraft, die ich in diesem gebrechlichen Körper gar nicht vermutet hätte. Ihre grauen Augen flackern. Ich lächle sie an. Beuge mich über sie. Streichle sie an der Schulter und setzte mich auf ihre Bettkante. Sie hält weiter meine Hand umklammert, als wollte sie sie nie wieder loslassen. Immer wieder wiederholt sie die Worte. "Ich danke Ihnen ... von ganzem Herzen." Ihre Hand zittert. Parkinson. Diese Frau hat eine Menge durch gemacht. 
Ich sehe in ihr von Falten zerfurchtes Gesicht und obwohl sie müde und abgekämpft aussieht, ihre Stirn gerunzelt ist, die Augen halb geschlossen, der Mund mit dem falschen Gebiss unaufhörlich am malen ist, kann ich nicht anders. Ich weine. Sie ist so schön. Eine geliebte Tochter.
Ich brauche einen Moment bevor ich verstehe, dass sie betet. "Hilf uns... dass wir den richtigen Weg finden. Hilf uns... dass wir den richtigen Weg finden... Hilf uns..."

Wer sucht, der wird finden. Wer anklopft, dem wird aufgetan.

Ich streichle ihr über die Schulter, das graue, lichte Haar. Sie murmelt weiter vor sich hin und erst nachdem sie den Satz ein gutes Dutzend mal gesagt hat, dringt er wirklich an meine Ohren.
"Nimm diesen Weg... Nimm diesen Weg... Nimm diesen Weg..." Sie hat die Augen geschlossen. Ich glaube sie betet immer noch, aber zugleich trifft mich dieser Satz. Soll ich diesen Weg nehmen?
Ist es der richtige Weg für mich? Ich sehe sie an und sofort denke ich. Ja, Jesus, wenn du das möchtest, dann nehme ich diesen Weg.
Sie hat aufgehört zu reden. Fast ruhig liegt sie da, aber ihr Gesicht ist immer noch angespannt. Die Hand, mit der sie meine hält zittert noch.
Ich möchte sie beruhigen. Möchte ihr zeigen, dass alles in Ordnung ist. Dass sie sich keine Sorgen machen muss. Weil Jesus da ist. Weil er sie liebt.
"Darf ich Ihnen ein Lied vorsingen?" Sie schaut mich an. Ihr Nicken ist kaum zu sehen.
Schon nach der ersten Zeile hat sie die Augen geschlossen. Leise höre ich, wie sie das Lied mit mir summt. 

Drum, so will ich wallen, meinen Pfad dahin.
Bis die Glocken schallen und daheim ich bin.
Dann mit hellem Klingen jauchz ich froh dir zu.
Nichts hab ich zu bringen. Alles Herr bist du.

"Alles Herr bist du." Sie hat die Augen geschlossen. Langsam verstummt ihr Murmeln. Ich löse meine Hand aus ihrer und umarme sie. Als ich ihre Hand wieder nehme, zieht sie sie an sich. "Alles Herr bist du." Ihr Griff hat sich gelockert. Sie atmet jetzt ruhig. Die Arme vor der Brust. 
Langsam gehe ich um ihr Bett herum, durchquere das Zimmer Richtung Tür und schaue dabei immer wieder zurück zu der alten Dame, die dort im Bett liegt und schläft. Leise öffne ich die Tür und trete hinaus. Ich lasse sie nicht allein und ich habe das Gefühl, wenn ich mich jetzt umdrehen würde, könnte ich ihn dort an ihrem Bett sitzen sehen. Danke Jesus. 

Es ist Samstag. Gestern war mein letzter offizieller Tag in der Lungenklinik Hemer. Morgen findet noch der Gottesdienst statt indem ich für die Lesung zuständig bin und dann geht es wieder nach Hause.
Nach fast vier Wochen Praktikum in der Klinikseelsorge macht es mich schon wirklich traurig, dass es morgen schon vorbei ist. Obwohl ich heute frei habe, bin ich noch zwei Patienten besuchen gegangen, denen ich versprochen hatte, dass ich noch vorbei komme und mich verabschiede. Die Frau bei der ich als letztes war, war zugleich auch eine der ersten Frauen, die ich hier in meiner ersten Woche besucht hatte und als wir uns verabschiedet haben musste ich tatsächlich weinen. 


Vier Wochen. Vier Wochen Arbeit. Vier Wochen Lernen. Es gab Zeiten wo ich täglich in meinen Reflexionsgesprächen mit Thomas weinen musste. Es gab Zeiten wo ich täglich mit einem Lächeln schlafen gehen konnte. Meistens waren es dieselben Zeiten.

Ich habe Fehler gemacht. Habe nette Menschen kennen gelernt. War in der Pflege für eine Woche und für einen Vormittag mit beim Lungenfunktionstraining. (Ich habe sogar einen genialen Atemtrainer bekommen!) :D Ich habe im Gottesdienst geholfen und war bei den Bibelstunden der Landeskirchlichen Gemeinschaft dabei. Donnerstags abends bin ich mit den Frauen vom Singkreis durch die Gänge der Klinik gelaufen und habe mit ihnen den Patienten Lieder gesungen. 
Kurz: Ich habe Dinge gemacht, die ich mir zu einem großen Teil selber nicht zugetraut hätte, aber die mich unglaublich weiter gebracht haben.

Der große Saal
"Lerne die guten Eigenschaften desjenigen zu schätzen, der dich liebt." So riet mir der weise Glückskeks aus dem China Restaurant in dem wir in der ersten Woche essen waren und im Rückblick verstehe ich ihn sogar noch ein bisschen besser, oder vielleicht auch einfach nur anders. :) 
Vieles hier ist sehr anders als ich es gewöhnt bin, aber nachdem ich mich einmal darauf eingestellt hatte konnte ich auch die positiven Dinge sehen, die das anders sein so mit sich bringt. 
Ich durfte hier von Menschen Glauben lernen, die zum Teil vier mal so alt sind wie ich. 
(Besonders beeindruckt hat mich eine Frau bei der letzten Bibelstunde als sie sagte:
Und da stand ich mit 18 in einer zerbombten Stadt an der Straßenbahn und alle waren weg gerannt. Aber ich hatte meinen Frieden in Gott.)
Ich hatte in Thomas und Gudrun zwei tolle Anleiter, die mir unglaublich viele Möglichkeiten gegeben haben, mich auszuprobieren und die Stationen kennenzulernen. 

Ich durfte neu lernen, was es heißt ich zu sein. 

Manchmal vermuten wir Gott nicht da wo er ist. 
Ich habe ihn gefunden. Er wohnt in Hemer.




Schwester Mirja von Station 14

Ein neues Hobby



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