家族・Familie・Es war schon immer mehr als ein Gotteshaus

Es ist kurz vor elf an einem Sonntag morgen. Und für mich heißt das: Der Gottesdienst geht gleich los. Aber scheinbar ohne mich. Nicht weil ich nicht wollen würde. Ich stehe nur mitten in einer der größten Einkaufspassagen Kyotos und drehe mich im Kreis. Hunderte von Menschen strömen um mich herum und ich schaue auf mein Handydisplay. Inzwischen zum gefühlt zwanzigsten Mal. Auf meiner rechten Seite, sollte ich jetzt die Gemeinde befinden, aber ich sehe nichts als Restaurants, Kleidergeschäfte, Beautyartikel und... ist das ein K-Pop-Laden? Weiter. Ich drehe mich um, gehe zurück. Wieder an den Anfang der Straße. Und plötzlich sehe ich das Schild, das von der Straße noch von einer Säule verdeckt war. Über der Werbung für ein indisches Restaurant und eine Pizzeria: Mustard Seed Christian Church. Ich biege um die Ecke und sehe einen Aufzug vor dem sich eine Gruppe von Menschen scharrt. Gemeinsam steigen wir in den kleinen Lift, aber ich bin die Einzige, die bis in den vierten Stock fährt. Die Türen öffnen sich und mein Herz setzt vor Aufregung einen Schlag aus, als ich aus dem Aufzug trete. 

Diese erste Begegnung mit der Mustard Seed Christian Church Kyoto liegt inzwischen gut eineinhalb Monate zurück. Die Mustard Seed Christian Church Kyoto ist eine kleine zweisprachige Gemeinde im Herzen Kyotos. Mitten auf einer der belebtesten Einkaufsstraßen der Stadt. Bis zu vierzigtausend Menschen laufen tagtäglich allein diese eine Straße entlang. Und mitten drin ein Gotteshaus... Oder sagen wir besser ein Gottesraum. Viel mehr ist es nämlich nicht. Aber was die Gemeinde hat, hat sie sehr schön eingerichtet. Aufenthaltsräume für die Kinder, ein schöner Eingangsbereich und ein Gottesdienstraum mit Bühne, Getränkebar und Lichttechnik. Zitat einer jungen Frau, die zum ersten Mal zu Besuch war: Sind wir hier echt in einer Kirche? Das sieht so gar nicht nach einer Kirche aus.

Beim großen Weihnachtsdekorieren kommt
niemand ungeschmückt davon
Aber wie sieht Kirche aus? Ich weiß, dass sehr unterschiedliche Leute, meinen Blog lesen. Solche, die es gewohnt sind in den sonntäglichen Gottesdienst zu gehen und solche, die diese Räumlichkeiten eher meiden. Und selbst bei Christen ist es ja keineswegs einheitlich, wie Kirche gedacht wird.
Ich bin ein Kirchenkind. Von klein auf bin ich in den Gottesdienst gegangen und gegangen worden. Dabei habe ich allerdings nie die Erfahrung gemacht, in einer einzigen Gemeinde groß zu werden. Ich bin in der Landeskirche und in der FEG in den Kindergottesdienst gegangen. Ich bin mit 8 Jahren getauft worden, weil ich damals keinen Sinn mehr darin gesehen habe, noch weiter zu warten. (Mein Wieder-Geburtstag ist übrigens in 2 Tagen am 5. Dezember ^^.) Ich liebe bis heute die Predigten meiner Mutter. Meine Teenkreis- und Jugendzeit habe ich in einer Landeskirchlichen Gemeinschaft in Bad Homburg verbracht. Auch in Japan habe ich verschiedene Gemeindeformen erlebt. Internationale und indigen Japanische. Ich wusste also schon immer, dass Kirche nicht gleich Kirche ist. Gemeinde manchmal gleich Kirche und häufig nicht gleich Gemeinde.

Kawaramachi, Kyoto
Warum machen wir Christen uns so schwer? Das habe ich mich schon häufig gefragt. Warum können wir das mit der Einheit irgendwie nicht so wie wir wollen?  Bei allen Differenzen habe ich eines in den Jahren wirklich zu schätzen gelernt: Vielfalt. Und heute glaube ich, unser Problem ist nicht, die Verschiedenheit unserer Gemeindeformen. Unser Problem liegt häufiger in der Verabsolutierung der Gemeindeform unserer Wahl. Natürlich wird eine Gemeinde, die in Deutschland lebt, anders sein als eine Gemeinde, die in Amerika, Japan oder Usbekistan lebt.
Natürlich ist eine Gemeinde aus dem Ruhrpott anders als eine Gemeinde auf der Schwäbischen Alb, anders als eine Gemeinde im Zentrum von Berlin, anders als eine kleine Gemeinde in Kyoto.
Und Gott sei Dank ist dem so. Was für einen Mangel an Fantasie unterstellen wir unserem Schöpfer wenn wir behaupten, es gäbe nur eine Art, Gemeinde zu leben. Natürlich werden dabei auch Fehler gemacht. Denn Newsflash: Christen sind immer noch Menschen. Die größte Stärke entfaltet das Konzept Kirche da, wo wir einander innergemeindlich und über Gemeindegrenzen hinweg stärken (oder wie man in Kanaanäisch sagt: die Last des Anderen tragen). Und ein Aspekt, den ich nicht müde werde zu betonen: Von einander lernen! Also stellen wir uns doch mal die Frage:


Was lerne ich in der Mustard Seed Church?
Über Länder- und Kulturgrenzen hinweg Glauben teilen. 
Die Mustard Seed Christian Church ist eine Internationale Gemeinde. International heißt hier: einige Amerikaner, ein paar Koreaner, ein paar chinesisch Sprachige Mitglieder und zum allergrößten Teil Japaner. Wenn ich am Wochenende mit meinen Freunden unterwegs bin, heißt das meistens, dass ich die einzige Nichtasiatin bin. Das ist unter anderem aufgrund der Sprache durchaus herausfordernd, aber vor allem ist es lehrreich.
Blick auf Kyoto vom Daimonji
Demut. Lernen.
Ich bin, wie bereits erwähnt, durchaus nicht unerfahren und rein auf die Zeit bezogen, dich ich als Kind Gottes auf dieser Erde verweile, bin ich wohl eine der ältesten Christen in der Gemeinde. Trotzdem fühle ich mich in regelmäßigen Abständen (nämlich an jedem Wochenende) wie ein Kleinkind im Glauben, wenn ich mit meinen Freunden rede. Immer wieder kollidiert die Art, wie wir Denken und Leben miteinander. Immer wieder merke ich, wie anders sie leben und werde davon inspiriert, ermutigt, angespornt, mehr zu fragen, mehr zu lernen und vor allem Jesus mehr zu lieben.

Leidenschaftlich leben, lieben, dienen. 
Ich höre Geschichten von Menschen, die sich trotz dem Widerstand ihrer Familie haben taufen lassen und die nie aufgehört haben für ihre Angehörigen zu beten. Ich treffe Menschen, die auf ihrer Arbeitsstelle nicht von ihrem Glauben reden können und solche, die es in jeder freien Minute tun. Ich sehe Menschen, die Jesus davor gerettet hat, sich ihr Leben zu nehmen. Menschen, die heute ihren Wert nicht mehr von der Meinung anderer fest machen, sondern sich über alle Maßen von Gott geliebt wissen und deshalb anderen dienen können. Und ich habe festgestellt, dass Gott mein Gebet sehr ernst genommen hat, als ich ihm gesagt habe, dass ich in Japan leben möchte, um zu lernen.

Ich will keinen Tag missen an dem ich Zeit mit diesen Menschen verbringe. Wie häufig musste ich mich zwingen, in die Gemeinde zu gehen, hier muss ich mich zwingen, die Gemeinde wieder zu verlassen. Natürlich ist nicht alles perfekt und auch hier gibt es noch Punkte, an denen ich Kritik üben würde. Trotzdem ist jeder Tag den ich mit ihnen verbringe, ein Tag an dem ich beschenkt werde.
Und wie dankbar bin ich Jesus, dass er uns vereint. Über alle Ländergrenzen, Kulturunterschiede, Sprachbarrieren und konfessionelle Differenzen hinweg. 

Internationale Wandertour auf den Daimonji


Nabe-Party!! <3











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