Wie du dir das Leben schwer machst - In 5 Schritten

"Rechts." Mehr muss er nicht sagen. Er schaut mich nicht an. Winkt nur mit der Hand und bedeutet mir rechts ran zu fahren.
Er braucht keine zwei Minuten bis mir die Tränen in die Augen schießen. Krampfhaft klammere ich mich an das Lenkrad vor mir, beiße mir auf die Lippen und starre nur auf die Ampellichter, die vor meinen Augen verschwimmen. Ich nicke nur mechanisch. "Ja, es tut mir leid." 
Mehr darf man in diesen Momenten nicht sagen. "Okay weiter fahren." Den Rest der Fahrt schweigen wir uns an. Ich habe Stille noch nie so sehr geliebt.

Selten habe ich ein Wort so sehr gefürchtet. "Rechts" das bedeutete Ärger. Das bedeutete ich hatte einen Fehler gemacht. "Rechts" hieß jetzt durfte ich mir zwei Minuten eine gesalzene Predigt über meinen Fahrstil oder Fehler anhören. "Rechts" das bedeutete Tränen.
Ich habe meinen Führerschein mit 17 gemacht und das innerhalb von 3 Monaten.
Ich würde es gerne auf mein unglaubliches Fahrtalent schieben, aber ich fürchte die Wahrheit liegt ein wenig abseits davon bei meinem Fahrlehrer.
Es gab wohl keine Fahrstunde wo ich nicht mindestens einmal von ihm an den Seitenstreifen gewunken und nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke gemacht wurde.
Warum ich mir das trotzdem angetan habe? Nun ja... meine Ausrede war immer, dass ich es mit seiner Hilfe schnell zum Führerschein bringen würde. Ich glaube aber eher, dass es daran lag, dass ich Angst hatte was passieren würde wenn ich ihm sagte, dass ich die Fahrschule wechseln würde und die Tatsache, dass ich schlicht und einfach zu faul war, mich um so etwas auch noch zu kümmern.
Ergebnis war jedenfalls ein Führerschein in Rekordzeit und ein kleines Trauma, das sich immer dann bemerkbar macht, wenn ich in Oberursel an der Fahrschule vorbei komme. (Als würde auf einmal ein wildes Fahrschullehrer aus der Einfahrt auf die Autohaube springen und schreien: DU HAST DEN SCHULTERBLICK VERGESSEN!!).
Bei aller Abscheu muss ich aber zugeben, dass ich ein paar weise Dinge von meinem Fahrschullehrer gelernt habe.
Zum Beispiel. "Schau nicht immer zurück und ärger dich darüber, was du für Fehler gemacht hast, sondern schau nach vorne und überlege wie du es besser machen kannst." Für einen Rückspiegel-Gucker wie mich eine sehr wichtige Lehre.

Einer seiner Lieblingssätze war auf jeden Fall der Satz: "Du solltest ein Buch schreiben: Wie mache ich mir das Leben schwer." Und ich würde mich in der Tat als Meister dieses Faches beschreiben, also möchte ich euch in den folgenden 5 Punkten einführen in diese sehr besondere Kunst der Leben-in-die-Irre-Führung.

1. Gehe grundsätzlich davon aus, dass du nichts kannst.
2. Gehe darüber hinaus davon aus, dass dich niemand mag.
3. Sehe in jeder Aufgabe, die Chance zu scheitern.
4. Rede unter keinen Umständen mit anderen Menschen über deine Probleme.
5. Schiebe Aufgaben so lange vor dir her bis sie sie zusammen genommen so hoch sind, wie der Mount Everest, damit du dann beim Versuch ihn zu besteigen zufrieden fest stellen kannst, dass du mit Annahme Nummer 1 vollkommen richtig lagst und eigentlich nichts kannst.

Diese 5 Schritte werden dich mit 100%ger Garantie an den Rand aller Kräfte und guten Geister bringen und dir ein furchtbar stressiges und Angst-erfülltes Dasein ermöglichen.

In der Reflektion meines Praktikums im vergangenen Juli musste ich unter anderem die Frage beantworten, was für mich Hindernisse während dieser Zeit waren und ich musste zu meiner Bestürzung fest stellen, dass es in meinem Fall keinerlei äußerliche Hindernisse oder Schwierigkeiten gab, sondern dass nur ich selber mir die ganze Zeit mit meiner Angst im Weg stand und mir selber immer wieder einredete, dass ich den Aufgaben, die mir gegeben worden waren, nicht gewachsen wäre. Von außen betrachtet ist
das blanker Unsinn, aber welche Fliege sieht schon die Scheibe gegen die sie fliegt.


Ich schreibe diese Zeilen am Fuße eines weiteren Mount Everest den ich mir in müheloser Nichtarbeit innerhalb von wenigen Tagen auf meiner To-do-Liste gezüchtet habe.
Die Aussicht diesen Berg demnächst erklimmen zu müssen ist unangenehm bis angsteinflößend und alles in mir schreit danach einfach weg zu sehen, mir die Finger in die Ohren zu stecken und ganz laut LALALA zu singen, aber auch bei mir hat Sigmund Freud zugeschlagen und ich spüre das Über-Ich noch schwach in meinem Kopf flüstern.

Ich bin wie gesagt ein Meister darin mir das Leben schwer zu machen, aber ich habe sehr wenig Übung darin es mir leicht zu machen. (Weil mein Schweinehund unter "leicht" grundsätzlich "keine Arbeit" versteht).
Aber wenn wir davon ausgehen, dass meine 5 Tipps der selbstauferlegten Qualen zu einem komplizierten Leben führen, dann funktioniert das Prinzip ja vielleicht auch in die andere Richtung...

Hier also meine 5 Tipps für ein (nicht immer Arbeits-freies, aber bestimmt) glücklicheres Leben:

1. Gehe grundsätzlich davon aus, dass du talentiert bist und dass es Dinge gibt, die du gut kannst.
2. Gehe außerdem davon aus, dass du ein (von Menschen und Gott) geliebter und gewollter Mensch bist.
3. Sehe in jeder Herausforderung die Chance zu gewinnen.
4. Rede auf jeden Fall mit Menschen über deine Probleme.
5. Erledige Aufgaben so schnell wie möglich. (Übersetzt: JETZT! ;) )

An diesem Punkt kann ich mich entscheiden. Welchen der Wege möchte ich wählen...
Aber egal ob wir uns noch auf dem einen oder schon auf dem anderen Weg befinden:




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