Missionarische Menschwesen und wo sie zu finden sind
"Ah." Der Mann neben mir springt wieder von seinem Sitz auf und kramt nach etwas in der Gepäckablage über unseren Köpfen. Ich beobachte ihn dabei in gut deutscher Manier neugierig.
Sein Kopf ist kahl geschoren. Er trägt ein T-Shirt und eine Army-Hose. Seine Füße stecken in schweren Schuhen. Nicht gerade die Art Mann, der ich Nachts gerne begegnen möchte.
Als er sich wieder neben mich setzt fällt mein Blick auf das Büchlein das vor ihm im Netz des Sitzes klemmt. "Wo das Tram nicht hinfährt, sind wir daheim". Es fällt mir wie Schuppen von den Augen und die Diagnose ist klar. Ich habe einen Schweizer.
Dass man ein Buch nicht nach seinem Äußeren beurteilen sollte, wurde mir gleich am Tag meiner Anreise wieder deutlich bewusst. Joel und ich waren ein fantastisches Flugzeugteam auch wenn wir charakterlich wohl kaum unterschiedlicher sein könnten und wir hatten bald schon fast so etwas wie eine Routine, wenn es um die Essenverteilung oder Filmauswahl ging.
Obwohl er einige Jahre älter ist als ich, haben wir uns doch blendend unterhalten, aber mir wurde eine Sache sehr deutlich, während unseres Gesprächs. Ich habe keine Lust, mit Leuten über den Glauben zu reden. Zurecht stellst du dir vielleicht jetzt gerade die Frage, wie ich mit einer solchen Einstellung gerade das sechste Semester Theologie hinter mich gebracht habe. Oder die sechs Wochen in einer japanischen Missionarsgemeinde. Wer lesen kann, der höre.
Es ist auf einmal sehr still neben mir. Ich schaue Joel an. "Alles ok bei dir?" "Ja, ich habe mich nur gewundert. Missionare. Ich hätte nicht gedacht, dass es sowas noch gibt."
Mein Magen verkrampft sich augenblicklich, aber ich versuche ruhig zu bleiben und meinen Puls, der sich gerade verdreifacht hat wieder unter Kontrolle zu bringen. Wie soll man einem Menschen, der das Konzept Christ sein nicht versteht begreiflich machen, warum der Beruf eines Missionaren hilfreich und nicht Teil eines christlichen Weltunterdrückungsplans ist?
Ich habe das Gefühl, das Bild, das viele Atheisten, aber auch Christen inzwischen von Missionaren haben, ist eher negativ und von einem anderen Jahrtausend geprägt. Als Theologiestudentin mit großem Interesse an missionsorientierten Modulen werde ich natürlich regelmäßig auch herausgefordert mit den Geschichten aus der Mission, die in mir den unwiderstehlichen Drang auslösen irgendetwas kaputt zu machen, oder mir zumindest die Haare zu raufen. Gleichzeitig ist es kurzsichtig, zu behaupten Mission sei grundsätzlich schlecht und ihre Vertreter nichts als kulturzerstörende Egomanen, die meinen, anderen ihre Meinung aufzwingen zu müssen.
Ohne im Detail auf die lange Geschichte der christlichen Mission einzugehen, die in ihren Herangehensweisen und Auswirkungen doch sehr vielfältig war und ist, kann ich sagen, dass ich doch recht erleichtert bin, in diesem Land zu leben, das doch sehr anders aussehen würde, wenn nicht auch Christen vor 2000 Jahren Fuß auf Europa gesetzt hätten.
Fast forward: Ich stehe in der alten Kirche. Das Licht der Sonne fällt durch die staubigen Fenster und über mir rattern die Ventilatoren. Ich schaue mich um, blicke durch die Reihen, sehe die vielen Menschen, die mit mir in diesem Raum stehen. Amerikaner, Japaner, Kanadier, Australier, Deutsche. Groß, klein. Dick, dünn. Die Augen geschlossen. Betend. Singend. Manche ruhig, andere mit erhobenen Armen. Eine Woche Kraft schöpfen. Gemeinschaft genießen. Essen. Reden. Spielen. Lernen. So viele unterschiedliche Menschen, Charaktere, Wünsche, Träume, Leben. Aber ein Gott der uns verbindet.
Inmitten meines Praktikums in einer kleinen Gemeinde im Norden von Osaka durfte ich auch eine Woche bei der jährlichen Missionarskonferenz in Karuizawa, einem Kurort nördlich von Tokyo dabei sein. Obwohl meine Motivation zu Beginn dieser 10 Tage doch schwer zu unterbieten war, wurde diese Zeit zu einem meiner absoluten Highlights während meiner Zeit in Japan. Zu sehen, wie so viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Nationen gemeinsam Gott feiern und mit Ihren unterschiedlichen Begabungen den Japanern dienen wollen war unglaublich stark und ich habe vor allem die Tage genossen, die ich mit den Missionarskindern im Teenageralter verbringen durfte.
Das Leben als Missionar ist hart. Das Leben in einer fremden Kultur ist herausfordernd und die Gelegenheiten, sich mit Menschen auszutauschen, die ähnlich denken, wie man selber sind selten, die Gelegenheiten, die eigene Sprache zu sprechen mindestens genauso begrenzt.
Ich habe mich selten daran gestört, dass Ausländer in Deutschland ihre Sprache weiter sprechen, aber spätestens seit Japan kann ich es wirklich verstehen. Man ist nicht man selber, wenn man sich die ganze Zeit nur anpasst, aber das wird von einem verlangt. Hier wie dort. Und manchmal muss man aufpassen, dass man darüber seine Identität nicht verliert.
Die Missionare, die ich während dieser ganzen Zeit kennengelernt habe und die ich auch aus anderen Ländern kenne, entsprechen keinem der (negativen) Vorurteile, die ich bei vielen meiner Landsleute wahrnehme.
Missionar sein? Nach diesen acht Wochen kann ich es mir auf jeden Fall vorstellen. Wie das ganze aussehen soll. Das steht in dem Buch, das mir noch nicht zugänglich ist.
Ich seufze. "Weißt du, ich könnte dir jetzt lauter tolle Dinge über den Glauben und über Gott erzählen. Warum das ganz klasse ist, woran ich alles glaube. Aber das wäre so als würde ich dir von einem Freund von mir erzählen. Ich kann noch so oft sagen, wie toll er ist und was ich alles an ihm klasse finde, aber du wirst es nicht verstehen können, bis du ihm selber begegnet bist.
Deshalb mein Tipp: Rede selber mit ihm."
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