一人・ひとり・Ein Mensch・Allein

Ah. So ein Mist. Ich presse die Lippen zusammen und meine Tasche fester an mich, aber die Tränen, die mir jetzt in die Augen steigen, kann ich nicht unterdrücken. Ich schaue nach links und rechts, bevor ich die schmale Straße überquere, aber ehrlich gesagt würde es mich nicht verwundern, wenn ich mit diesem Schleier vor den Augen, jegliche Autos einfach übersehen würde. Ich laufe schneller. Einfach weg. Die Straße entlang. Die Luft ist heiß. Der Schweiß kitzelt auf meiner Stirn und mein Haar hat schon lange seine Form verloren. Menschen kommen mir entgegen, aber ich sehe sie nicht an. Ich wische mir die Tränen aus den Augen. Warum genau muss ich genau an den drei Tagen im Jahr heulen an denen ich mich schminke? Automatisch schießt mir der Gedanke in den Kopf. Was die Japaner wohl denken, wenn sie mich so sehen? Aber vielleicht schauen sie mich auch nicht an. So wie ich sie nicht anschaue. Die Welt besteht aus Schuhen, in denen Füße stecken, die an Beinen befestigt sind. Niemand schaut den anderen an. Denn die Augen sind die Tür zur Seele. Wer sich anschaut, der hat schon angeklopft. Aber man weiß ja nicht, ob der andere das will. Vielleicht will er ja allein sein. 

Ah. Ich will einfach mal alleine sein. Ich weiß nicht, wie oft ich das schon gedacht habe und ich vermute, gerade den Introvertierteren von euch ist dieser Gedanke auch nicht unbekannt. Wenn der Alltag stressig ist und man kaum zur Ruhe kommt. Wenn der Terminkalender so vollgepackt ist, dass schon eine halbe Stunde Pause ein Luxus ist. Und gerade wenn man am Tag vielen Menschen begegnet, kommt der Gedanke immer häufiger. Einfach mal alleine sein.

Und mir ist aufgefallen wie unterschiedlich Alleine sein aussehen kann. Und mir ist bewusst geworden welche Formen des Allein seins mir gefallen und welche ich absolut scheußlich finde.
Familien Picknick am
Han River, Seoul
Zunächst einmal macht es einen gewaltigen Unterschied, ob ich allein bin, weil ich mir das selber so ausgesucht habe, oder weil es andere entschieden haben. Im Studium war ich häufig alleine. So allein wie man sein kann, wenn man mit 35 anderen Studenten im selben Haus wohnt und direkt gegenüber eine Hochschule stehen hat. Aber in meinem Zimmer war ich allein und das konnte ich durchaus genießen. Vielleicht weil ich wusste, dass ich nicht alleine sein muss. Dass es die Möglichkeit gibt, aus meiner Tür zu treten und Gemeinschaft mit Anderen zu haben.

In meiner Schulzeit war ich häufig allein, weil ich Zweifel daran hatte, ob Andere wirklich Zeit mit mir verbringen wollten. Meine Schulfreunde waren weiter weg und die Freunde aus der Siedlung gingen alle in eine andere Schule. Hatten andere Freunde. Ich habe lange (zu lange) gebraucht, um diese Lüge loszuwerden , dass Andere keine Zeit mit mir verbringen wollen. Dass es ohne mich besser ist. Zu lange habe ich mich selber dazu entschieden, alleine zu sein, obwohl ich die Möglichkeit gehabt hätte, Gemeinschaft zu haben.

Hier in Japan erlebe ich jetzt zum ersten Mal was es heißt allein zu sein, weil man wirklich niemanden hat. Die vergangenen zwei Wochen waren vermutlich auch deshalb so schwer, weil mir in aller Härte klar geworden ist, dass ich hier nicht dazu gehöre. Nicht nur, dass ich niemanden kenne. Als blonde Europäerin habe ich keine Chance und das wird sich auch nicht ändern. Selbst wenn ich diese Sprache lerne. (Was an sich schon nicht einfach ist. Auch wenn ich eine seltsame Tendenz habe, mich in dieser Hinsicht selber zu überschätzen ^^.) Das alles wusste ich auch schon in Deutschland, aber es ist etwas vollkommen anderes darin zu leben. 

Seit zwei Tagen bin ich jetzt in der Sprachschule. Vieles von dem was ich erwartet habe, ist anders gekommen. Auch das wirkt sich nicht unbedingt positiv auf mein Sicherheitsgefühl aus. :) Ich bin in eine Klasse gekommen, in der ich mich die meiste Zeit langweile, aber der Test, den ich heute gemacht habe, um eine Stufe höher zu steigen, hat mir doch deutlich bewusst gemacht, dass ich bis dahin noch einiges vor mir habe. Den Frust darüber habe ich euch in der Anfangsgeschichte beschrieben. ;) 

Ich schreibe diese Dinge nicht, weil ich mich beschweren möchte. In den letzten Monaten und auch in den letzten zwei Wochen habe ich mit so vielen Leuten in ganz Deutschland geschrieben wie schon lange nicht und ich freue mich über jede Nachricht. Aber in Japan bin ich allein und das ist jetzt so. Dafür habe ich mich entschieden. :) Mehr als je zuvor bin ich jetzt darauf angewiesen, initiativ zu werden und aus meinen Selbstzweifeln und natürlichen Gegebenheiten aus zu treten. (Hallo, Menschenscheu!) 

Mein neues Zuhause
Ich wohne bei einem netten japanischen Ehepaar. Ich habe eine nette Klasse und nette, hilfsbereite Lehrer. Ich habe Freunde und Familie, die mich aus Deutschland unterstützen. Und vielleicht sogar eine Gemeinde in die ich jetzt häufiger gehen werde. Ganz abgesehen davon, dass ich Gott an meiner Seite habe. Oder besser gesagt: Er mich an seiner. Vielleicht bin ich also doch gar nicht mal so allein.


Ich glaube, es gibt Situationen, in denen müssen wir uns zwingen, alleine zu sein. Und es gibt Menschen, die müssen sich treten, mit Anderen in Kontakt zu kommen. Die Kunst ist, alleine zu sein, wenn es nötig ist und Gemeinschaft zu pflegen, wenn es richtig ist. 

Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nicht mehr leichtfertig über DIE JAPANER zu reden. Das gibt es freilich genau so wenig wie DIE DEUTSCHEN oder DIE AMERIKANER. Aber ich glaube, dass es gerade in diesem Land, in dem die Höflichkeit ein so hohes Gut ist, viele Menschen gibt, die alleine sind. Alleine sind und die das eigentlich nicht sein wollen, aber Angst davor haben, was passieren könnte, wenn sie sich das eingestehen. Ich hoffe, dass meine Erfahrungen heute, eines Tages Ermutigung und Stärkung für Menschen sein kann, denen es so geht, wie mir mit 15 Jahren. 

Und wenn ich euch eine Frage mitgeben darf: Wessen Gegenwart ist dir wichtig, aber du hast sie schon viel zu lange als selbstverständlich angenommen? Ich glaube es wäre sehr ermutigend für diese Person, wenn du ihr heute sagst, wie viel es dir bedeutet, dass du sie hast.

With Love from Kyoto






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tagebuch einer Auswanderin - September: Der Umzug

私の夢 ・ わたしのゆめ ・ Mein Traum

Und plötzlich steht die Welt Kopf...