Wahrheit oder Pflicht
Die Flasche dreht sich und mein Herz schlägt mit jeder Runde einen Tick schneller.
Mit fast anstrengender Langsamkeit kommt sie zum Halt - und zeigt auf ihn.
Es kommt fast wie aus der Pistole geschossen: "Pflicht!"
Ich sehe nicht, wer die Worte spricht, die mein Herz beinahe zum zerspringen bringen:
"Gib Mirja einen Kuss auf die Wange."
Alles Blut schießt in seine Wangen und ich habe das Gefühl, von einer Ameisenkolonie infiltriert worden zu sein, als er langsam zu mir rüber rutscht und seine Lippen für den Bruchteil einer Sekunde meine Wange berühren.
- Klassenfahrt 2005
Ach ja. Wahrheit oder Pflicht. Nostalgische Kindheitserinnerungen. Viele Fragen und Aufgaben, die man nie stellen kann, außer bei diesem Spiel der Peinlichkeiten.
Wer liebt wen? Was ist das Peinlichste, was du je erlebt hast? Renn dreimal schreiend ums Haus.
Was bei "Wahrheit oder Pflicht" gesagt wird, ist fast schon Gesetz. Drücken gibt's nicht.
Und der zweite Artikel dieses Gesetzes lautet: Flaschendrehen ohne Jungs ist langweilig.
Es ist die Ausrede um endlich Dinge zu tun und zu sagen, die man schon immer tun, oder sagen wollte. Da kann der spießige Deutsche endlich mal aus seiner verklemmten Haut und richtig die Sau rauslassen.
Heute ist der dritte und letzte Tag vom NEXT+ Kongress für junge Erwachsene in Marburg und das Thema:
"Wahrheit oder Pflicht".
Was heißt es Christ zu sein? Gibt es "falsches" christliches Leben? Muss man sich an die biblischen Gesetze halten und wenn ja: an welche? Was ist unsere Pflicht und wo dürfen wir aufhören uns ein schlechtes Gewissen zu machen? Was (oder wer?) ist Wahrheit und was heißt das denn bitte, wenn Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben? (Johannes 14,6)
Die christliche Welt ist an vielen Stellen noch sehr weit von Einheit entfernt und auch wenn sich die Parteien (noch) nicht mit Atomköpfen bedrohen, kann es zuweilen doch ganz schön gruselig werden, was Menschen veranlasst Drohungen gegen Leib und Leben anderer auszusprechen, die anderer Meinung sind. Aber es ist ja auch nicht leicht. Wo ziehen wir die Linie? Wo hört "wahr" auf und fängt "falsch" an.
Wo glauben wir Lügen und verdrängen die Wahrheit und welche von den fünf Auslegungen der Bibelstelle vom Sonntag ist denn jetzt eigentlich richtig?
Der Ansatz, der hinter diesen Fragen steckt ist an sich ja eigentlich löblich: Wir wollen es richtig machen. Wir wollen auf der richtigen Seite stehen. Wir wollen die Wahrheit. Aber viel zu häufig passiert es, dass wir uns zu Sklaven einer erkannten "Wahrheit" machen, die dann unter allen Umständen durchgedrückt und am besten auch auf alle anderen angewandt wird.
Ein Beispiel ist das Alkoholverbot für japanische Christen.
Die "Wahrheit" hinter diesem Verbot, ist der ungesunde Umgang der japanischen Gesellschaft mit Alkohol. Das Motto der Firmen scheint häufig zu sein: Wer nicht trinken kann, der macht auch keine guten Geschäfte. Also: Hoch die Tassen!
Christen setzen an dieser Stelle ein entscheidendes Zeichen und grenzen sich so von dem Verhalten der Anderen ab. Das Verbot soll den Menschen schützen.
Zur "Pflicht" und gesetzlich wird dieses Verbot da, wo die Gleichung (Ein Christ trinkt keinen Alkohol) umgeschrieben wird zu: Jemand der Alkohol trinkt kann kein Christ sein.
Mir als Alkohol-Verschmäherin hat dieses Verbot wirklich nichts ausgemacht, aber nehme man mal dem armen Deutschen sein geliebtes Bier weg. Da ist es doch ganz gut, dass die Japaner nicht verlangen, dass die ganze Welt ihre, für sich erkannte, Wahrheit mittragen muss. ;)
Als Deutsche halten wir uns, im Gegensatz zu anderen Nationalitäten, für sehr offene und ehrliche Menschen. "Straightforward" oder "Gerade heraus". Wie kommt es dann, dass wir in christlichen Kreisen so gut darin sind, thematische "Tabu"-Zonen zu bauen.
Warum hatte ich als Jugendliche das Gefühl, ich könnte mit jedem über meine Fragen über Sex und Liebe reden, aber vermutlich als letztes mit meinen christlichen Freunden? (Heute ist das zum Glück anders).
Wann reden wir in unseren Gemeinden darüber was uns bedrückt? Wo sagen wir ehrlich, wie es uns gerade mit unserer Beziehung mit Gott geht? Wo stellen wir ehrliche Fragen und können sagen, dass wir Zweifel haben? Wann hast du das letzte Mal bei einem Mitglied aus deiner Gemeinde gebeichtet? Wenn das in deiner Gemeinde passiert: Herzlichen Glückwunsch! Als Kind und Jugendliche hatte ich häufig das Gefühl, dass jeder um mich herum kurz vor "heilig" ist und nur ich mich noch mit diesen blöden irdischen "Sünden-Gelüsten" herum zu schlagen habe.
Vielleicht würde uns ein bisschen Flaschendrehen in der Gemeinde mal ganz gut tun?
Mit fast anstrengender Langsamkeit kommt sie zum Halt - und zeigt auf ihn.
Es kommt fast wie aus der Pistole geschossen: "Pflicht!"
Ich sehe nicht, wer die Worte spricht, die mein Herz beinahe zum zerspringen bringen:
"Gib Mirja einen Kuss auf die Wange."
Alles Blut schießt in seine Wangen und ich habe das Gefühl, von einer Ameisenkolonie infiltriert worden zu sein, als er langsam zu mir rüber rutscht und seine Lippen für den Bruchteil einer Sekunde meine Wange berühren.
- Klassenfahrt 2005
Traust du dich? |
Ach ja. Wahrheit oder Pflicht. Nostalgische Kindheitserinnerungen. Viele Fragen und Aufgaben, die man nie stellen kann, außer bei diesem Spiel der Peinlichkeiten.
Wer liebt wen? Was ist das Peinlichste, was du je erlebt hast? Renn dreimal schreiend ums Haus.
Was bei "Wahrheit oder Pflicht" gesagt wird, ist fast schon Gesetz. Drücken gibt's nicht.
Und der zweite Artikel dieses Gesetzes lautet: Flaschendrehen ohne Jungs ist langweilig.
Es ist die Ausrede um endlich Dinge zu tun und zu sagen, die man schon immer tun, oder sagen wollte. Da kann der spießige Deutsche endlich mal aus seiner verklemmten Haut und richtig die Sau rauslassen.
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"Wahrheit oder Pflicht".
Was heißt es Christ zu sein? Gibt es "falsches" christliches Leben? Muss man sich an die biblischen Gesetze halten und wenn ja: an welche? Was ist unsere Pflicht und wo dürfen wir aufhören uns ein schlechtes Gewissen zu machen? Was (oder wer?) ist Wahrheit und was heißt das denn bitte, wenn Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben? (Johannes 14,6)
Die christliche Welt ist an vielen Stellen noch sehr weit von Einheit entfernt und auch wenn sich die Parteien (noch) nicht mit Atomköpfen bedrohen, kann es zuweilen doch ganz schön gruselig werden, was Menschen veranlasst Drohungen gegen Leib und Leben anderer auszusprechen, die anderer Meinung sind. Aber es ist ja auch nicht leicht. Wo ziehen wir die Linie? Wo hört "wahr" auf und fängt "falsch" an.
Wo glauben wir Lügen und verdrängen die Wahrheit und welche von den fünf Auslegungen der Bibelstelle vom Sonntag ist denn jetzt eigentlich richtig?
Pflichten sind wie Regen: Können mega nerven, aber ganz ohne funktioniert es auch nicht. |
Ein Beispiel ist das Alkoholverbot für japanische Christen.
Die "Wahrheit" hinter diesem Verbot, ist der ungesunde Umgang der japanischen Gesellschaft mit Alkohol. Das Motto der Firmen scheint häufig zu sein: Wer nicht trinken kann, der macht auch keine guten Geschäfte. Also: Hoch die Tassen!
Christen setzen an dieser Stelle ein entscheidendes Zeichen und grenzen sich so von dem Verhalten der Anderen ab. Das Verbot soll den Menschen schützen.
Zur "Pflicht" und gesetzlich wird dieses Verbot da, wo die Gleichung (Ein Christ trinkt keinen Alkohol) umgeschrieben wird zu: Jemand der Alkohol trinkt kann kein Christ sein.
Mir als Alkohol-Verschmäherin hat dieses Verbot wirklich nichts ausgemacht, aber nehme man mal dem armen Deutschen sein geliebtes Bier weg. Da ist es doch ganz gut, dass die Japaner nicht verlangen, dass die ganze Welt ihre, für sich erkannte, Wahrheit mittragen muss. ;)
Warum hatte ich als Jugendliche das Gefühl, ich könnte mit jedem über meine Fragen über Sex und Liebe reden, aber vermutlich als letztes mit meinen christlichen Freunden? (Heute ist das zum Glück anders).
Wann reden wir in unseren Gemeinden darüber was uns bedrückt? Wo sagen wir ehrlich, wie es uns gerade mit unserer Beziehung mit Gott geht? Wo stellen wir ehrliche Fragen und können sagen, dass wir Zweifel haben? Wann hast du das letzte Mal bei einem Mitglied aus deiner Gemeinde gebeichtet? Wenn das in deiner Gemeinde passiert: Herzlichen Glückwunsch! Als Kind und Jugendliche hatte ich häufig das Gefühl, dass jeder um mich herum kurz vor "heilig" ist und nur ich mich noch mit diesen blöden irdischen "Sünden-Gelüsten" herum zu schlagen habe.
Vielleicht würde uns ein bisschen Flaschendrehen in der Gemeinde mal ganz gut tun?
Amen! Tel them, Sister... naja, ok, daughter. Sehr wahr und sehr gut. Du wirst eine super Predigerin! :-)
AntwortenLöschenWow, Mirja, was für ein schöner Blog!
AntwortenLöschenUnd ein toller Artikel über das Wochenende!
Ob ich aber tatsächlich gerne mit den Menschen aus meiner Gemeinde "Wahrheit oder Pflicht" spielen würde, das überleg ich mir noch ... ;-)