Er kam, sah und schmiss die Tische um

Aus dem geheimen – erfundenen – Tagebuch eines Jüngers.

Liebes Tagebuch,
Jetzt ist es fast soweit. Es sind nur noch ein paar Wochen bis nach Jerusalem und Jesus macht immer noch keine Anstalten, es sich anders zu überlegen. Die anderen sagen nicht viel, aber die Anspannung ist kaum auszuhalten. Dass Johannes und Jakobus jetzt den Streit darum, wer auf der rechten Seite Jesu, sitzen darf vom Zaun brechen mussten, hat auch nicht gerade zur allgemeinen Entspannung beigetragen.
Zum Glück hat Jesus das cool gelöst, auch wenn ich nicht so ganz verstanden habe, warum er seit Tagen davon spricht, dass er sein Leben für uns geben muss. Gerade Petrus wird das doch niemals zulassen, aber es ist trotzdem schön, dass wir so einem tollen Lehrer wie Jesus folgen, der solche
Dinge zumindest sagt.

Liebes Tagebuch,
Nur noch eine Woche bis Jerusalem. Wir sind heute wieder ein gutes Stück voran gekommen, obwohl wir ja nicht gerade wenige sind, die hier gerade nach Jerusalem hinauf wandern.
Als wir heute aus Jericho aufgebrochen sind, war auf einmal total der Lärm und alle haben sich gefragt was da los war. Ich habe dann raus gefunden, dass ein Blinder namens Bartimäus nach Jesus
gerufen hat und sich einfach nicht beruhigen wollte. Immer wieder hat er „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ gerufen bis Jesus ihn zu sich gerufen hat. Weiß er denn nicht wie gefährlich es ist, so etwas so laut rum zu brüllen? „Sohn Davids“! Will er allen Römern unter die Nase reiben, dass unser neuer König im Anmarsch ist? Aber Jesus hat gar nicht mit ihm geschimpft, oder gesagt, dass er das nicht sagen soll. Stattdessen hat er ihn einfach geheilt und seitdem läuft Bartimäus jetzt auch mit uns.

Liebes Tagebuch,
Manchmal frage ich mich, ob Jesus lebensmüde ist. 
Ich meine, ich weiß, dass erab und zu etwas verrückte Ideen hat, aber bisher waren seine Handlungen noch recht vernünftig und er hat sich, was seine  Zukunftspläne angeht, eher bedeckt gehalten, aber ich habe das Gefühl, je näher wir Jerusalem kommen, desto waghalsiger wird er. 
Wie könnte man sonst erklären, dass er heute mich und Philippus los geschickt hat, um ihm ein Eselsfohlen zu bringen. Es ist an sich schon dreist genug, dass wir einfach so ein Eselfohlen mitgehen lassen sollten, auch wenn Jesus gesagt hat, dass wir es wieder zurück bringen, aber als wir dann nach Jerusalem rein sind, dachte ich mein Herz würde mir fast zerspringen vor Angst. Keine Frage, ich habe mich unglaublich gefreut. Das war aber auch 'ne krasse Party. Die Leute waren so außer sich vor Freude, dass sie sogar ihre Mäntel auf dem Boden ausgebreitet haben, Palmenzweige von den
Bäumen geschnitten und gemeinsam gesungen haben.
Jetzt endlich ist die Zeit gekommen, dass Jesus etwas tut. Nicht nur Reden und Heilen, was ja gut und schön ist, aber jetzt sind die Tage der Römer wirklich gezählt. Ich habe doch die letzten Jahre gesehen, was Jesus alles kann. Wer will uns da noch aufhalten? Aber die Pharisäer waren vermutlich nicht gerade begeistert. Die müssen ja noch viel besser wissen als ich, dass Jesus hier gerade die Prophezeiung des Propheten Sacharja selbst in die Hand genommen und erfüllt hat:

„Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe,dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet aufeinem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten inEphraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochenwerden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wirdsein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.“

Jawoll, da freue ich mich drauf.

Liebes Tagebuch,
Wir haben heute Nacht nicht in Jerusalem übernachtet, sondern sind zum Abend wieder nach Betanien gegangen. Vielleicht ahnt Jesus, dass eine Nacht in Jerusalem sich negativ auf seinen Gesundheits- beziehungsweise Lebenszustand auswirken könnte. Jedenfalls sind wir erst heute morgen wieder hoch gestiegen. Irgendwie war er schon den ganzen Morgen nicht gut drauf und ich bin ganz froh, dass ich ihn nicht angesprochen habe, so musste nur der Feigenbaum auf unserem Weg das Zeitliche segnen. (Was wir aber erst wussten, als wir am Abend wieder aus Jerusalem kamen).
Ich glaube allerdings nicht, dass Jesus sich wirklich so aufgeregt hat, nur weil der Baum gerade keine Früchte trug. Ich vermute eher, dass er eigentlich über Jerusalem geredet hat, jedenfalls war gefühlt das Erste was er gemacht hat, als wir in die Stadt kamen, dass er in den Tempel gestürmt ist und da hatte ich wirklich Angst, dass sie ihn gleich mitnehmen würden, aber ich konnte nicht anders, ich war auch irgendwie getroffen. Er war so wütend und traurig. Wir standen da in diesem ganzen Trubel. Um uns herum nur laute Rufe, Tiergeschrei, das Klimpern von Münzen und dieser vertraute Geruch vom Blut der Opfertiere. Und auf einmal geht Jesus auf einen von diesen Geldwechslern zu und kippt ihm seinen ganzen Tisch um, bevor er weiter läuft, die Tauben frei lässt, die Käufer und Händler aus dem Tempel scheucht und am Schluss nicht mal jemanden etwas durch den Tempel tragen lässt.
Dabei hat er so laut gerufen, dass man es noch im Vorhof der Heiden hören konnte: „Steht nicht geschrieben: 'Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker'? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“ 
Und ich kann mich daran erinnern, dass ich dachte: Wenn Jesus König ist, dann macht er keine halben Sachen. Warum ahne ich, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten das nicht auf sich sitzen lassen werden?

Liebes Tagebuch,
Ich liebe es wenn Jesus redet. Ich kann ihm stundenlang zuhören und heute war wieder so ein Tag wo ich das tatsächlich konnte. Wie zu erwarten konnten die Schriftgelehrten nicht still bleiben. Mit
Hohenpriestern und Ältesten sind sie angerückt und haben Jesus ganz schön angeraunzt, was ihm denn einfällt, dass er so einen Aufstand macht und wer ihm denn bitte schön die Befugnis gegeben hat, ihr alles so auf den Kopf zu stellen.
Aber, typisch Jesus, hat er ihnen natürlich keine direkte Antwort gegeben, sondern ihnen stattdessen eine Rückfrage gestellt. (Ich liebe es, wenn er das tut.) „Die Taufe des Johannes – War sie vom Himmel, oder von Menschen?“ Da wussten sie keine Antwort drauf. Was hätten sie auch sagen sollen? Von Menschen? Dann hätten sie mit Sicherheit das ganze Volk gegen sich aufgebracht. Aber wenn sie zugegeben hätten, dass Johannes, vom Himmel beauftragt und ein Prophet gewesen wäre, dann hätten sie gleichzeitig zugeben müssen, dass die Sachen, die Johannes über Jesus gesagt hat, auch alle wahr sein müssen. Jesus hat ihnen also geantwortet ohne zu antworten, aber ich glaube sie haben es sehr wohl verstanden. Ich habe gesehen wie sie ihm finstere Blicke zugeworfen und untereinander getuschelt haben. Wenn Jesus nicht bald einlenkt und anfängt ihnen die Füße zu küssen – und danach sieht es nun wirklich nicht aus – dann glaube ich, haben wir bald ein ganz schön massives Römer-Problem an der Backe.

Ende der Aufzeichnungen.

In der Vorbereitung dieser Predigt, ist mir beim Lesen der Markusstellen etwas aufgefallen, bei der ich dachte, dass ich es in diesem kleinen Tagebuchformat am besten verdeutlichen kann:
Die Tage und vielleicht auch Wochen vor Ostern sind eine extrem emotionale, angespannte Zeit und mit jedem Kapitel scheint die Situation ein wenig ernster zu werden, bis die Spannung kaum noch auszuhalten ist und sich in der Szene der Tempelreinigung zum ersten Mal richtig entlädt.
Und es gibt eine Frage, die in dieser Zeit sehr aktuell wird und die Jesus immer wieder indirekt zur Sprache bringt: „Wer hat die Macht?“ Oder besser: „Wem geben wir Menschen die Macht?“
Und an keiner Stelle, an keinem Ort wird diese Frage so zentral wie im Tempel in Jerusalem.

Der Tempel. Das Haus Gottes. Hier ist der alttestamentliche Ort der Gottesbegegnung. Hier wohnt Gott und hier will er den Menschen ganz nahe kommen. Aber die beten in diesem Tempel ganz andere Götzen an.
Und hier erleben wir eine Seite von Jesus, die wir so von ihm vielleicht gar nicht so gewohnt sind und die, zumindest ich, manchmal tendiere zu verdängen: Jesus wird wütend.

Die Realität dieser Geschichte ist: Der Mensch gibt nicht Gott die Macht, sondern dem Geld, dem Ansehen, seinen persönlichen Wünschen und Ideen. Klar man geht schon noch in den Tempel und bringt vielleicht sogar Opfer, aber das Ganze ist mehr eine Art Geschäft.
Jesus hat sich mit dieser Aktion natürlich nicht nur Freunde gemacht. Ich glaube, ich wäre grundsätzlich auch erst mal nicht gut auf jemanden zu sprechen, der einfach in meine Gemeinde rein kommt, den Computer runter schmeißt und die Stühle umkippt.
Wir wissen im Rückblick, dass Jesus als Gott jedes Recht hat in seinem eigenen Haus aufzuräumen, aber für die Menschen damals muss es ein echter Schock gewesen sein welches Recht sich Jesus an dieser Stelle heraus nimmt.
Die jüdische Elite fragt Jesus dann auch: „Aus welcher Vollmacht tust du das? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, dass du das tust?“

Und hier wendet Jesus ein Stilmittel an, dass er häufig gebraucht, wenn er der Meinung zu sein scheint, dass sein Gegenüber die Antwort eigentlich schon selber weiß. Er stellt eine Gegenfrage.
Er fragt nach der Vollmacht des Johannes, ob seine Taufe eine vom Himmel oder von Menschen gestiftete Taufe war und er stellt damit die Fragesteller in eine Zwickmühle. Das Volk glaubt fest daran, dass Johannes ein Prophet ist, aber wenn sie dem zustimmen dann müssen sie daraus den logischen Schluss ziehen, dass auch Jesus, von dem Johannes gesprochen hat, mit einer Vollmacht handelt, die nicht irdischen Ursprungs ist.

Die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen ist dieselbe Frage, die auch die Pharisäer stellen: Aus welcher Vollmacht tut Jesus diese Dinge? Hat er das Recht dazu den Tempel so auszuräumen und wenn ja, welche Auswirkungen hat das für mich heute?
In dieser Woche vor Ostern fordert Jesus die Menschen und besonders die Mächtigen seiner Zeit heraus, sich die Frage zu stellen, wer in ihrer Stadt und in ihrem Leben wirklich das Sagen hat. Und die Antwort darauf finden wir zuerst an Karfreitag am Kreuz. Menschen mögen es nicht, wenn man ihre Macht antastet.

Und ich möchte euch eine Frage stellen, die mich persönlich am vergangenen Wochenende sehr beschäftigt hat. Nämlich genau diese Frage: Wer hat in deinem Leben die Macht, oder wem gibst du die Macht über dein Leben? Und ich muss euch gestehen, dass meine Antwort am letzten Samstag im ersten und auch im zweiten Moment nicht 'Jesus' war.
Als ich diesen Text immer und immer wieder gelesen habe, habe ich gemerkt, dass ich gerade mitten in einem Versuch steckte, vor Gott weg zu rennen. Ich habe gemerkt, dass ich den Tempel in meinem Herzen mal wieder mit lauter Sachen zugestellt hatte, die da eigentlich gar nicht rein gehörten, solange bis ich selber nicht mehr rein gepasst habe, um Gott zu begegnen.
Und ich habe gemerkt, dass es lächerlich wäre, über diesen Text predigen und euch lauter tolle Dinge erzählen zu wollen, wenn ich mich selber weigere Jesus an diese Teile meines Herzens ran zu lassen. Deshalb habe ich gebetet und ich habe ihn neu eingeladen, wieder bei mir einzuziehen. Das war mein persönlicher Palmsamstag.

Ich glaube, dass ich ein Tempel des Heiligen Geistes bin und nicht nur ich, sondern jeder von uns. Gott begegnet uns nicht nur in Jesus, sondern er lebt durch den Heiligen Geist in uns. Wie könnte er uns noch näher kommen? Und trotzdem fühle ich mich häufig so unendlich weit weg von ihm.
Das sind dann meistens die Momente, wo ich keine Lust mehr zu beten habe. Tage, an denen ich vielleicht noch in der Bibel lese, aber eigentlich bin ich mit meinem Herzen schon ganz woanders. Der Moment, wenn ich aufhöre Erwartungen an Gott zu haben und einfach nur noch so vor mich hin lebe.
Leider muss ich des öfteren feststellen, dass mein Zimmer im Studentenwohnheim nicht von alleine sauber wird, nur weil ich nicht mehr rein gehe und die Unordnung nicht sehen kann. (Als Kind scheint Unordnung für eine Zeit immer noch so magisch zu verschwinden.)

Das einzige was da hilft ist aufräumen und das Gleiche gilt auch für mein Herz. Wenn du dieses Gefühl kennst, das ich eben beschrieben habe: Dass du gar nicht mehr mit Jesus reden willst. Dass gerade irgendwie alles drunter und drüber geht und du am liebsten gar nicht mehr in dieses Zimmer schauen möchtest. Weil du ahnst, dass Jesus da ein paar Tische zum umkippen hätte, dann kann ich dir nur eines sagen: Bete.
Auch wenn du keine Lust hast. Dann sagst du Jesus eben, dass du keine Lust hast, aber rede mit ihm.
Und wenn du Angst davor hast, was Gott zu dem sagt, was du in deinem Herzen "angebetet" hast, dann kann ich dir sagen:
Ja, Jesus sieht das, aber du darfst dich daran erinnern, dass wir am Ende dieser Woche feiern, dass Jesus für uns gestorben ist und all das auf sich genommen hat. 
Gnade heißt nicht, dass Jesus meine Fehler und Probleme übersieht, sondern, dass er meine Schuld für mich los wird und mir Kraft gibt, die Probleme anzugehen und zu überwinden. Deshalb ist das Beste, was wir tun können, mit ihm zu reden und ihn darum zu bitten, dass er das auch in unserem Leben wieder macht.
Und da ist mir Bartimäus, der Blinde vor den Toren Jerichos zum Vorbild geworden. Er hat sich von den Anderen nicht ruhig stellen lassen, oder den Mund verbieten. Er hat so lange nach Jesus gerufen, bis er ihn zu sich geholt und geheilt hat und danach ist Bartimäus Jesus nachgefolgt.

Palmsonntag ist nicht nur einmal im Jahr und erst recht nicht nur einmal im Leben. Ich glaube, dass jeder Tag ein Palmsonntag ist, an dem wir Jesus einladen können, dass er neu in unser Herz einzieht, dass er das, was uns von Gott und seiner Gegenwart trennt, weg nimmt und dass er neu die Macht in unserem Leben übernimmt.
Und dabei ist es ganz egal, ob wir Noch-nie-Beter, frisch-Bekehrte, oder schon-immer-Gotteskinder sind. Wir alle sind Menschen, die Gott brauchen und wir sind alle angewiesen darauf, dass Gott Gnade vor Recht ergehen lässt.
Aber ich habe eine gute Nachricht. Genau das feiern wir in einer Woche an Ostern.
Gott die Macht zu geben heißt nicht, sein Sklave zu werden, sondern sein Kind. Es heißt ihm zu vertrauen, dem ich so wichtig bin, dass er mich nicht in Ruhe lässt, sondern sogar sein Leben gibt, damit ich leben kann. Und dass er die Macht hat, mein Leben zu verändern, weil er selbst den Tod besiegt hat.

Kommentare

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tagebuch einer Auswanderin - September: Der Umzug

私の夢 ・ わたしのゆめ ・ Mein Traum

Und plötzlich steht die Welt Kopf...