Mirja x Korea



Ich bin aufgeregt. Mein Herz klopft und ich trete nervös von einem Fuß auf den anderen. Lache V. an. Sie trägt, genau wie ich, einen Hanbok. Sie zeigt auf mein Kleid und die Ärmel. "Das ist ein sehr traditioneller Hanbok, wie man ihn früher getragen hat. Nicht wie die glitzernden Kleider, die man heute überall sieht. Der ist noch wirklich authentisch. Außer, dass du keine Streifen auf deinem Ärmel hast. Dieser Hanbok wäre für eine verheiratete Frau." "Ich bin also schon vergeben, wie schön." Ich sehe wie W. auf uns zu kommt. Er hat sich nicht noch umständlich umziehen müssen, sondern hat nur eine Art Cardigan aus Seide übergeworfen, den er jetzt vor seiner Brust zu bindet. 
Wenige Augenblicke später deutet uns der Ansager der Zeremonie an, dass er nun anfängt und wir stellen uns alle auf. Vor uns steht ein Tisch, der gedeckt ist mit Obst und Süßigkeiten. Hinter dem Tisch steht ein Raumteiler auf dem eine Landschaft mit Bergen in vier unterschiedlichen Jahreszeiten zu sehen ist.
Vor mir V., direkt vor dem Tisch steht W., daneben ein junger Mann den ich nicht kenne und neben mir zwei Japanerinnen und eine Koreanerin. 
Der Ansager beginnt und die drei Studenten vor mir verbeugen sich. Immer und immer wieder. Ich mache mir nicht die Mühe zu zählen, aber ich kann mir vorstellen, dass einem danach ordentlich die Beine wehtun. Ich stehe am Rand, habe die Hände vor meinem Bauch aufeinander gelegt und warte ab. Auch als die hintere Reihe dazu stößt und sich ebenfalls verbeugt bewege ich mich nicht. Nach zahlreichen Verbeugungen, Schritten nach rechts und wieder nach links, schenken die einzelnen Teilnehmer einer nach dem Anderen Soju aus einer Kanne in einen Holzkelch und stellen ihn nach hinten auf den Tisch, bevor sie wieder auf ihre Plätze gehen. Wieder verbeugt sich die erste Reihe. Ich bleibe stehen. Als W. anfängt zu singen schließe ich die Augen und lausche auf die fremde Melodie, den Singsang und die für mich unverständlichen Worte. Als letzter großer Punkt setzen sich alle um eine Feuerschale in der Mitte und nacheinander werden dünne mit Hanja (chinesische Schriftzeichen) beschriebene "Wunschpapiere" verbrannt, damit die Wünsche, die darauf stehen in Erfüllung gehen. 
Aber wirklich zuende ist die Zeremonie erst, wenn man danach an den Tischen zusammensitzt und die guten Gaben auch genießen darf. Das war mein erstes Seollal (Koreanisches Neujahrsfest).

Früher ging es mir teilweise so, dass die Reisen, die ich unternommen habe, mir später mehr wie ein Traum und weniger wie die Realität erschienen. Aber diese zwei Wochen in Korea sind mir auch fast einen Monat später noch sehr gut in Erinnerung geblieben.
Um die vielen Erlebnisse ein wenig zu strukturieren und für euch ein wenig spannender zu machen, habe ich beschlossen im folgenden mich selber zu interviewen. Die Art von Selbstgespräch, bei der man sich eben irgendwie gut und nicht verrückt vorkommt. :D


Mirja1: Schön, dass du hier bist Mirja.
Mirja2: Ja, ich freue mich auch, hier zu sein.

M1: Also sag mal, du warst in Korea. Wie bist du denn auf die Idee gekommen? 
M2: Hmm... Das hat verschiedene Gründe. Der erste ist, dass ich seit ich 15 bin, angefangen habe koreanische Musik zu hören und koreanische Filme und Serien zu schauen. Da bleibt man natürlich nicht ganz von der Kultur unbeeinflusst und ich hab mich logisch auch immer gefragt, wie Süd-Korea in Wirklichkeit aussieht. Die meisten Leute hier in Deutschland haben ja eher Schwierigkeiten, wenn es darum geht Menschen aus Asien auseinander zu halten (Was den Asiaten mit den Europäern auch nicht leicht fällt) und gerade nach meinen Erfahrungen in Japan finde ich das sehr schade, weil ich doch viele Unterschiede wahrgenommen habe, die ich in beiden Ländern sehr schätze.

Hafen von Busan
M1: Und bist du dann alleine gereist, oder hattest du noch jemanden dabei?
M2: Ich habe mich in Seoul mit einer Freundin aus Japan getroffen, die direkt aus Nagoya nach Seoul geflogen ist. Mit ihr bin ich dann eine Woche lang gereist. Die zweite Woche war ich dann allein unterwegs.

M1: Welche Städte habt ihr euch angesehen?
M2: Wir haben natürlich viel zu wenig gesehen, aber wir waren immerhin in Seoul (die Hauptstadt), in Busan (2. größte Stadt, im Süden Koreas), in Gimhae (nahe bei Busan) und Gyeongju (alte Hauptstadt).


M1: Da habt ihr ja doch eine ganze Menge und vor allem an den unterschiedlichen Enden von Korea gesehen. Was hat dir an den einzelnen Städten am meisten gefallen?
M2: Hmm... Ich glaube in Seoul habe ich am meisten die Einkaufsstraßen gefeiert. Ich gehe nicht gerne einkaufen, aber ich bin jedes Mal gerne zwischen den Geschäften und den Essensständen durch gelaufen und habe mir alles angeschaut. Das besondere ist, dass in Korea nicht nur in den Läden, sondern auch außerhalb, auf der Straße Musik über Lautsprecherboxen gespielt wird. Nach einer Weile hat man Kopfschmerzen, aber die meiste Zeit fühlst du dich wie auf einer riesigen Party.
Und gerade Hongdae (Das Viertel um die Hongik Universität) ist unglaublich lebhaft und es macht Spaß zu schlendern, den Musikern und Tänzern auf der Straße zuzusehen und sich auf dem Weg den Bauch voll zu schlagen. :D

M1: Ich sehe schon, du hast zugenommen.
M2: Jaaa *seufz*... Auch von dem gesündesten Essen der Welt kann ich dick werden. Aber ich dachte mir, es wäre noch viel trauriger, mich im Urlaub an irgendeine Diät zu halten. Das macht doch keinen Spaß.

Hügelgräber in Gyeongju
M1: Gibt es ein Essen, was du richtig klasse findest und eines, dass dir überhaupt nicht geschmeckt hat?
M2: Es hat eigentlich alles richtig gut geschmeckt, was ich probiert habe. Ich glaube, ein besonderes Highlight war die Reiskuchen-Suppe, die unsere Gastgeberin in Gimhae für uns gemacht hat. Normalerweise essen die Koreaner diese Suppe zu Neujahr, aber sie hat sie doch für uns gemacht und es hat super geschmeckt. Was ich nicht mochte, war eine Bohnenpastensuppe, die ich in Gyeongju gegessen habe. Das lag aber weniger an dem Gericht an sich und mehr an dem Restaurant. Es hat nach Käsefüßen gerochen und so hat die Suppe dann auch geschmeckt. Ich esse normalerweise alles auf, aber das habe ich echt nicht runter bekommen.


In der koreanischen Sauna
M1: Du hast gesagt, ihr hattet eine Gastgeberin in Gimhae? Wart ihr nicht die ganze Zeit in Hostels untergebracht?
M2: Nein, das stimmt. In Gimhae haben wir koreanische Freunde von meiner japanischen Freundin besucht. Sie kannte sie noch aus ihrer Gemeinde in Japan und sie waren so freundlich und haben uns für zwei Tage bei sich aufgenommen. Die Zeit bei ihnen war wirklich ein besonderer Höhepunkt auf der Reise. Sie haben auch mich aufgenommen, als wären wir schon immer Freunde und ich habe mich super mit der Tochter verstanden. Es war allerdings sehr interessant diesen wilden Mix aus Koreanisch, Japanisch und Englisch zu verarbeiten und ich glaube es sah für alle anderen auch sehr interessant aus, wenn sie mich als Weiße auf Japanisch angesprochen haben. ^^




M1: Hast du dich gut mit deiner Freundin verstanden, oder gab es auch mal Streit?
M2: Zuerst einmal bin ich super dankbar, dass sie sich überhaupt darauf eingelassen hat, mit mir diesen verrückten Trip zu machen. Es war wirklich eine tolle Zeit mit ihr und ich habe sie sehr vermisst, als ich dann alleine weiter gereist bin. 
Natürlich gab es mal etwas Spannung zwischen uns, aber im großen und ganzen waren wir ein tolles Team. Sie war zuständig für unsere kulinarischen Genüsse und unterhaltsame Shoppingtouren, während ich für so kulturelle Sachen wie Tempel zuständig war. :)

Zurück in die Zukunft
M1: Was hat dich am meisten überrascht an der koreanischen Kultur oder dem Land generell?
M2: Ich glaube, ich war doch sehr überrascht über die Offenheit der meisten Koreaner. Ich wusste schon, dass Korean sehr viel extrovertierter ist als Japan, aber ich war doch echt überrascht wie häufig ich auf der Straße einfach angesprochen wurde und ich habe dann gehört, dass das in Korea nicht ungewöhnlich ist. In Japan wird man als Ausländer häufig eher ignoriert. 
Das Zweite - nicht ganz so tiefsinnige - war, dass es in Korea fast überall Bodenheizung gibt. Das hatten sie schon vor hunderten von Jahren und es ist ohne Frage ein schönes Gefühl, besonders, weil meine Füße sonst, wegen der ungünstigen Hitzeverteilung meines Körpers, dazu tendieren zu Eisblöcken zu erstarren, während meine Wangen vor Wärme fast verglühen. Also... Daumen hoch. Fußbodenheizung wäre in dem Jahr in Japan auch schön gewesen. 

M1: Was war die verrückteste Begegnung, die du hattest?
M2: Es war wirklich jede Begegnung verrückt und häufig hatte ich echt das Gefühl, dass mir Gott diese Person gerade über den Weg geschickt hat. Was allerdings echt verrückt war, war als ich am letzten Freitag nochmal nach Hongdae wollte und mich dann zwei Studenten angesprochen haben. Eine Niederländerin und ein Koreaner, die koreanische Traditionsgeschichte studieren. Sie kannten mich ja gar nicht, aber sie haben mich einfach so angesprochen, verschiedene Sachen gefragt und haben mich dann zu der Neujahrszeremonie (s.o.) eingeladen, die sie mit ihren Komilitonen zusammen veranstaltet haben. Ich war zuerst etwas skeptisch. (Meine Mama hat immer gesagt, du sollst nicht mit Fremden gehen.) Aber dann dachte ich, sie werden mich schon nicht kidnappen, warum nicht? ;)

Wer Hanbok trägt kommt kostenlos in die Paläste
M1: Du hast in deinem Text geschrieben, dass du dich nicht bewegt hast, während alle sich verbeugt haben. Warum?
M2: Diese Zeremonie stammt ursprünglich, genau wie die Ahnenzeremonie, aus der konfuzianischen Tradition, die sich dann mit dem in Korea heimischen Schamanismus verbunden hat. Heute sind diese Riten für die meisten Koreaner nur noch Tradition und haben keinerlei religiöse Bedeutung, aber für mich als Christ hat es sich falsch angefühlt, mich vor meinen Ahnen zu verbeugen, Soju gegen das Unglück auszuschenken und ein Wunschpapier zu verbrennen. Ich weiß, dass Gott, solche Sachen nicht von mir braucht. Aber ich fand es trotzdem spannend, weil es zweifelsohne ein Teil der koreanischen Kultur geworden ist und ich denke, wenn ich die Koreaner verstehen möchte, dann sind solche Besuche sehr lehrreich. Ich hatte danach auch noch ein sehr gutes Gespräch mit dem Koreaner und ich stehe auch noch in Kontakt mit der Niederländerin.

M1: Könntest du drei Highlights deiner Zeit in Korea nennen?
M2: Hmm... Leute, Land, Essen? :D
M1: Das zählt nicht. Spezifischer.
M2: Ok. Also wie gesagt: Das erste Highlight, das mir einfällt, waren die zwei Tage bei der koreanischen Familie in Gimhae. Das zweite Highlight waren die Ausflüge mit meiner Freundin und unsere Gespräche über Gott und die Welt noch bis spät in die Nacht. Das dritte Highlight war der Tag in Gyeongju (trotz schlechtem Essen). Ich habe dort drei Studenten (ein Deutscher, eine Russin, ein Koreaner) getroffen, die in Deutschland Kirchenmusik studieren und mit denen habe ich dann spontan den Tag verbracht. Wir sind zusammen zu zwei Tempeln in den Bergen gefahren und haben sogar noch eine spontane Wanderung dran gehängt. Das war unglaublich witzig und ich habe sehr viel über Korea und den Buddhismus gelernt. 

Wachablösung
M1: Gab es etwas, was du nicht so mochtest?
M2: Ich war am ersten Abend überrascht, wie dreckig Seoul an manchen Stellen ist. Aber da bin ich auch noch ein wenig von Japan verwöhnt. Korea ist an vielen Stellen auch sauberer als Deutschland.
Was ich nicht wirklich schlecht, aber manchmal doch etwas extrem finde, ist der große Patriotismus der Koreaner. Ich weiß, dass es dieses Land und dieses Volk ohne diesen Patriotismus heute vielleicht nicht mehr (oder zumindest nicht so) gäbe, aber in der heutigen Zeit finde ich, sollten wir weniger auf die Unterschiede und mehr auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen schauen. 
Es ist auch echt schwer mit einer Japanerin durch Korea zu reisen. Überall hörst du bei den Führungen:... und dann kamen die Japaner und haben alles kaputt gemacht. Das ist anstrengend, aber das ist eben unsere Geschichte und es wäre auch falsch es nicht zu erwähnen.

M1: Was sind denn die Unterschiede zwischen Japan und Korea, von dem was du mitbekommen hast?
Zeltgottesdienst vor dem Hauptbahnhof von Seoul
M2: Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich die Unterschiede am besten in Worte fassen kann. Ich glaube der offensichtlichste Unterschied liegt in der Atmosphäre und dem Umgang miteinander. Der Umgang in Japan ist sehr höflich. Das ist die meiste Zeit total schön, weil man einfach respektvoll miteinander umgeht und nicht so angeraunzt wird, aber es führt auch dazu, dass man wie eine durchsichtige Mauer aus Höflichkeit um sich herum baut und da ist es dann sehr schwer jemandem näher zu kommen. Da sind die Koreaner sehr anders. Hier kann es durchaus sein, dass du unhöflich angemacht wirst, aber dafür sind die meisten viel herzlicher und kontaktfreudiger als ich es bei den Japanern erlebt habe. Direkt am ersten Tag wurde ich zwei Stunden nach meiner Landung in der U-Bahn-Station von einem Studenten angesprochen, mit dem ich mich noch bis zu meiner Station unterhalten habe und der mich am Schluss von unserem Gespräch noch um einen Tipp in Liebesfragen gebeten hat. Das war schon mal ein sehr guter Anfang. *lacht*
Der letzte Blick vom Namsan

M1: Was magst du jetzt lieber: Japan oder Korea?
M2: Die Frage wurde mir schon häufiger gestellt. Ich sage immer noch Jain. Ich habe Korea während dieser Zeit unglaublich schätzen und lieben gelernt und ich freue mich schon sehr, weil ich bei Filmen endlich sagen kann: Da war ich schon! Aber auch bei den Unterschieden zwischen Japan und Korea würde ich nicht sagen, dass ich das eine Land mehr mag als das andere. Ich habe jetzt Freunde, die ich sehr liebe, in beiden Ländern und ich finde beide Länder und Kulturen spannend und ich komme auf jeden Fall zurück. This being said: Ich fühle mich in Japan immer noch mehr zuhause, aber gut. Da stehen insgesamt 11 Monate Japan gegen 2 Wochen Korea. ;)

M1: Jetzt kurz vor Schluss noch der kleine Ausblick: Korea, Japan, Deutschland? Wohin soll es denn dann gehen nach dem Studium?
M2: Ich hab ja noch ein wenig Zeit bis zu meinem Abschluss in Tabor, aber ich habe mich jetzt entschlossen mein Praktikum im Sommer in Japan zu machen. Dieses Mal bin ich dann zwei Monate dort und ich bin wirklich gespannt, ob ich während der Zeit eine Entscheidung fällen werde, oder nicht. Bis jetzt kann ich es mir auf jeden Fall wieder vorstellen dort auch längerfristig zu arbeiten.

M1: Vielen Dank für das Interview. Ich hoffe du hast noch einen schönen Abend.
M2: Ja, danke. Das wünsche ich dir auch.

P.S. Danke, fürs Durchhalten! Wenn du auch noch eine Frage hast, die noch nicht gestellt wurde, dann schreib es gerne in die Kommentare! ;)


Der Erfinder der koreanischen Schrift - König Sejong


Die größte Gemeinde der Welt - Die Yoido Full Gospel Church


Das nächste Mal kommt bestimmt. :)

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