Tag 12
Ich trete einen Schritt vor. Die Kassiererin begrüßt mich und nickt mir zu. Ich nicke zurück und versuche höflich aus zu sehen. Sie schiebt meinen grauen Korb zurecht und fängt an, die Artikel an dem Scanner vorbei zu ziehen und in den rosa Korb vor sich zu legen. Ich warte geduldig und sehe dabei zu wie die Zahlen auf der Kasse ansteigen: 170...368...793...1390....Ich muss mich noch ein wenig daran gewöhnen, dass ein Einkauf hier gut und gerne mal 2000 Yen kostet... Ich lege ihr einen 10.000 Yen Schein in die Schale und zucke bedauernd mit den Schultern. Leider habe ich es nicht kleiner. Sie lächelt aber weiter freundlich, steckt den Schein in die Kasse. Es rattert kurz, dann hat die Kasse zu ende gerechnet und mein Wechselgeld kommt raus. Sie zählt es vor mir laut nach und überreicht es mir dann mit beiden Händen gemeinsam mit dem Kassenbon. Ich lade den rosa Korb auf meinen Wagen und laufe weiter. Einen Meter weiter stehen die "Packstationen": Tische mit Tüten-"spendern" an denen man sich seine Einkäufe in Ruhe einpacken kann. Wenn nötig kann man sich auch einen der Kartons nehmen, die bereit stehen, um bei Platzmangel in der eigenen Tasche Abhilfe zu leisten. Bei mir geht aber alles wunderbar in meinen kleinen Rucksack und schon steh ich wieder draußen in der heißen Mittagssonne. Es ist Zeit einen Keeki ケーキ(Kuchen) zu backen!
So...Es ist Freitag. Freitag Abend um genau zu sein. In diesem Moment schaue ich auf die Uhr kurz vor 12...Also eigentlich fast Samstag. Es ist so ziemlich eine Woche her, dass das Programm in der Ai Hope Church so richtig los gegangen ist, deshalb ist jetzt abgesehen von der späten Uhrzeit her, die perfekte Zeit zum Blog schreiben, weil ich jetzt das Wochenprogramm erlebt habe, das so ungefähr jede Woche abläuft.
Sonntag Abend haben wir GT Sports. Für nur 1000 Yen (weniger als 10€) kann die Ai Hope Church die Sporthalle der Junior High School eine Straße weiter nutzen um Basuketto booru zu spielen. Obwohl der Termin der erste nach den Sommerferien ist und nicht offiziell bekannt ist kommen um die 34 Leute zum Sport und nachher gecrushtes Eis mit Syrup futtern. :P
Die durchschnittliche Arbeitswoche fängt mit Montag an. Bei uns nicht. Wir haben Montag frei. Es ist ein sehr schöner Tag, wenn man nicht arbeiten muss und vor allem macht er sich unglaublich gut um sich die Umgebung in der man ist mal ein wenig genauer an zu schauen. Also schnappen wir uns eine Inazawa Karte, unsere Fahrräder und ziehen los um die alten Häuser der Stadt zu bestaunen. Allerdings ist die Karte für Fußgänger ausgelegt und kaum blicke ich zwei Sekunden mal nicht auf die Karte sind wir auch schon an der eigentlichen Straße vorbei gerauscht. Aber so sehen wir dann doch noch ein bisschen mehr als geplant.
Wir wollen Mittagessen gehen und haben die Auswahl auf drei nebeneinander liegende Restaurants eingegrenzt. Das Auszählen bringt ein für mich ungünstiges Ergebnis was sich im Laufe des Essens bewahrheitet. Es ist extrem scharf (das muss bei meiner Intoleranz gegenüber jeglicher Schärfe jedoch nichts heißen), die Miso-suppe (fermentierte Bohnensuppe) wird mir mit jedem Mal unsympatischer und der Weizensaft mit dem wir es runterspülen müssen ist ....hwääähh.
Aber man lernt nie aus. Ich weiß jetzt welchen Ort und welches Essen ich die nächste Zeit meiden werde.
Danach gehen wir noch kurz einkaufen und dann probieren, was man denn da neuartiges über den Tag in dem Conbini und Superumaruketo ergattern konnte. Ich stelle mal wieder fest: Japaner machen aus allem Süßigkeiten. Egal ob das jetzt Reis, Bohnen oder grüner Tee sind. Am liebsten kommt auch noch alles zusammen.
Das ist jetzt ein Eis aus roten Bohnen... Das muss man mal gegessen haben!
Einmal im Monat recyclen die Japaner. Ein lustiger Tag. Ab 5 wird Müll getrennt, aber nicht bei sich zuhause, denn der Müll wird nicht beim Haus abgeholt sondern ein paar Straßen weiter, gewöhnlich in einem gelben Netz. Nicht so beim Recyclen. Nun machen sich ab 5 alle Japaner auf den Weg und der Marsch beginnt. Beladen mit aufgeschnittenen Milchtüten, Kartons, Zeitungen, Kleidern, Dosen und Glas geht es zum Sammelplatz.
Am Abend gehen wir in das Sento von Inazawa. (https://de.wikipedia.org/wiki/Sent%C5%8D)
Es ist im ersten Moment eine ziemliche Überwindung mal die deutsche Privacy hinter sich zu lassen und mit all den anderen Frauen nackt in die warmen Becken zu steigen, aber dann ist es herrlich. Ich probiere alles aus, was angeboten wird. Dampfsauna. Liegebecken. Das heiße Becken. Das heiße, HEIßE Becken (44°). Das KALTE Becken (15°). Das Becken mit dem lustigen Blubberwasser, das an deiner Haut Blässchen bildet und angeblich aus Deutschland kommt, aber ich habe noch nie davon gehört. ^^ Der Wassergang, ein langes Becken in dem man nicht ausruht sondern ....naja läuft! :) Tatami-Matten zum Abkühlen und dann natürlich DAS Becken. Es ist eigentlich ganz gewöhnlich, aber wenn man seine Hand zwischen zwei der Wände im Becken hält kribbelt es im ganzen Arm. Als Deutscher lernt man: Strom und Wasser -> schlechte Kombi weil Tod. In Japan sehe ich eine ältere Frau vollkommen entspannt mitten in diesem Strombecken sitzen! Es ist ziemlich cool, aber ich habe doch noch ein wenig Respekt vor dieser Art von Entspannung.
Dann lerne ich zum Abendessen wieder eine japanische Spezialität kennen: Tempura, fritiertes Gemüse. Eine gewagte Entscheidung: Wer mich kennt, weiß, dass ich nur rohes Gemüse mag...
Aber zumindest die Zwiebel schmeckt fritiert sehr sehr gut. Die Shrimps zwar auch, aber die fallen glaube ich nicht unter die Definition von "Gemüse".
Die ganze Zeit beobachten mich zwei ältere Herren an einem der Tische. Ich tue es zuerst als Höflichkeit der Japaner ab und nicke ihnen freundlich zu, aber die Art wie sie mich die ganze Zeit angrinsen finde ich doch etwas beunruhigend und bin froh als wir auf der anderen Seite der Papierwand unseren Tisch finden.
Alles in allem war es ein sehr sehr schöner erster freier Tag.
Der Dienstag trifft in jeder Form die Bedeutung seines Namens. Es ist Zeit zu Dienen auch in den unangenehmen Sachen und das bedeutet: Putztag! Die Liste ist lang und ich perfektionistisch was das ganze nicht unbedingt ...leichter macht. Es macht es sogar ungemein schwer, weil ich natürlich beschließe, dass es nichts bringt das Wischen nur mit dem Mob zu machen (Damit schiebt man den Dreck ja nur hin und her). Sowas muss mit der Hand gemacht werden...! Die nächsten Stunden lassen sich kurz zusammen fassen: Ich schrubbe den Eingangsbereich der Ai Hope Church bis die Quadrate strahlen. Und also ehrlich...Man sieht doch den Unterschied oder?? (rechts ist geputzt, links noch nicht :D) Man muss an dieser Stelle hinzufügen: Jede Überstunde war freiwillig! ^^
Aber da man Inazawa ja nie gut genug kennen lernen kann, zumindest nicht in den ersten zwei Wochen beschließen wir um 8 Uhr Abends (Es ist stocken duster) noch eine kleine Tour mit dem Fahrrad zu machen. Es ist nicht so, dass wir einen Plan hätten...Eigentlich genau das gegenteil: Unser Plan ist: Dahin fahren wo wir noch nie waren, wo wir uns nicht auskennen und wo es so dunkel wie möglich ist. Wir haben jede Menge Spaß. Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei den Leuten neben dem Schrein (Wir haben eurem Hund nichts getan...Wir sind vielleicht nur ein bisschen nah ran gegangen um den Schrein anzuschauen), dem Mann auf dem Fahrrad (falls sie sich gefragt haben, wer diese zwei Vollpfosten sind, die um diese Uhrzeit Schreine fotografieren) und den Jungen auf dem dunklen Weg zwischen den Reisfeldern (Ich wollte wirklich nur nett sein, aber du wirktest ein wenig eingeschüchtert nachdem diese blonde Gaijin dir ein "Konbanwa" entgegen gegrinst hat).
Wir haben den Weg dank meinem brillianten Orientierungssinn auch nach Hause gefunden.
Mittwoch lief hauptsächlich die letzten Punkte von der Putzliste streichen und die Sprachklassen vorbereiten, die am Abend stattfinden sollen. Ich habe einen produktiven Schub während unten die Besprechung der Pastoren in Inazawa läuft und klebe mein Kunstwerk zusammen was die folgenden Tage mit Bestandteil der Evangelisierung der japanischen Bevölkerung werden soll.
Made of bottle tops (ursprünglich waren sie auf dem Weg zum Recycling...Ich hatte andere Pläne :D)
Ab 5 kommt Sayuri-san zum kochen für das Open Hope. Ein Ort für jeden der kommen will, mit warmen Abendessen für nur 100 Yen, Spielen, Sprachklassen, Bibellesen und Gemeinschaft.
Hier lerne ich meine erste Schülerin kennen, die in die 6. Klasse geht, was in Japan noch Grundschule ist. Wir machen nur wenig Unterricht und zum Glück ist Jörg zum Anleiten und Übersetzen da, denn ich habe noch keine Ahnung und von Japanisch erst recht keinen Schimmer.
Das ist auf jeden Fall ein Gebetsanliegen für die Zukunft!
Jeden Mittwoch kommen auch 3 Jungs in die Ai Hope Church, die "halbe" Dropouts sind, wie ich sie nenne. 17, 17 und ich würde schätzen 19 oder 20. Sie haben die Schule geschmissen und arbeiten jetzt als Fabrikarbeiter. Sie glauben alle nicht an Gott, aber sie kommen jede Woche und essen mit uns und spielen dann Yu-Gi-Oh!. Der ältere erklärt uns über seinen kleinen Bruder: "He..is..äh...champion! He is...very strong!"
Yutarou hat sie inzwischen so weit, dass er mit ihnen jede Woche 10 Minuten in der Bibel liest. Diese Woche schaut er mich an: "Miria. You come too and learn Hiragana!" Er drückt mir eine japanische Bibel in die Hand. Was er meint ist: Jeder liest nach einander einen Vers.
Das heißt ICH AUCH. Ich stottere vor Aufregung und vertue mich ständig in den Zeilen. Dann wieder kann ich Zeichen nicht erkennen ...Ich würde am liebsten im Boden versinken. Es ist nun mal keine leichte Mischung: Fremde + Jungs + Nichtchristen + Bibel + Japanisch + klein + von rechts nach links + von oben nach unten + Wörter werden nicht getrennt + Aufregung + Ich verstehe kein Wort.
Judith hilft mir netter Weise aber irgendwann habe ich den älteren soweit, dass er selber die Bibel in die Hand nimmt um nach zu schauen was ich gerade vorgelesen habe und kommt und mir Wort für Wort vorsagt, wie ich das ganze aussprechen muss. Ich entschuldige mich jedes Mal wenn ich fertig bin, aber sie grinsen nur und ich kann die Worte "Miria" "gomenasai" (entschuldigung) "nihon-go" (Japanisch) und "kawaii" (süß) verstehen....^^
Ich merke außerdem dass es mir physische Schmerzen bereitet selbstständig Japanisch zu reden, weil ich mich so anspanne, dass mir danach jeder Muskel weh tut.
Ich wünsche diesen drei so sehr, dass sie wirklich verstehen, was sie da mit Yutarou lesen. Er hat mich schon vorgewarnt. Nächste Woche machen wir das wieder!
Donnerstag ist erstmal sehr frei. Wir haben Gebetsrunde mit Yutarou dann geht jeder an seine Arbeit und ich....gehe einkaufen!
Ich soll nämlich einen Kuchen backen für die Coffe,Tea&Talk Runde am Freitag Morgen. Eine Art "Frühstückstreffen" für Frauen, die sich zusammen setzten, Kuchen essen, Kaffee und Tee trinken und wie eine kleine Gesprächs- und Bibelleserunde haben.
trotz Panik im japanischen Supermarkt, weil ich die Sahne nicht finden kann (Sayuri-san läuft mir in diesem Moment über den Weg und weißt mir den Weg zum Ziel! :D), japanischem Ofen von 1950 (gefühlt) und absolutem Chaos in der Küche (was ich allerdings selber verbrochen habe) kommen zwei ganz ordentliche Kuchen zustande!
Ich habe noch ein wenig Zeit zum Abendessen, denn dann startet meine zweite Sprachklasse. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft, die etwa so alt sind wie mein Vater, wollen ihre Englischkenntnisse aufbessern. Die zwei sind super nett und freundlich und wir haben eine richtig gute Zeit, aber auch hier ist Dorothea noch dabei und ich hoffe, dass ich das alleine hin bekomme.
Gestern war Freitag. Jetzt ist Samstag um viertel nach eins morgens.
Gestern also. Die Coffee,Tea&Talk-Runde war sehr schön. Zwei waren Christen, die anderen 5 nicht, aber das ist das erstaunliche in Japan. In Deutschland wäre eine solche Runde nicht möglich, ohne dass ein Kleinkrieg zwischen allen beteiligten entsteht. Wir lesen in der Bibel, reden über den Vers und diskutieren (nach einigen Anlaufschwierigkeiten in meiner Gruppe, weil halt kein Japanisch, sondern Englisch) über Vergebung, Glaube und Gebet. Die beiden Kuchen, die ich gebacken habe schmecken allen super und ich bekomme noch am Abend eine facebook Nachricht von einer Frau, die unbedingt mit mir schreiben will und sich für meine Arbeit bedankt. Da geht einem das Herz auf!
Weil ich ja nicht alleine wohne ist nach dem Mittagessen Zeit das Haus zu putzen und egal wie toll ich das japanische Badezimmer auch finde: Es ist ätzend es zu putzen!
Das gleiche gilt für das Waschbecken, weil der Abfluss auch gereinigt werden muss und das geht nicht mal so eben gerade, zack Ding ausgeleert in den Kompost oder so: Nein! Erst mal das schwarze Ding weg, dann das Netz, wo die ganzen ekligen Dinge drin hängen rausmachen und weg schmeißen, dann das Plastikteil das ganz schmierig ist rausholen und "säubern", dann noch tiefer rein greifen und wie bei dem Tankdeckel ein weiteres Plastikteil raus drehen säubern, den ganzen Abfluss bis zum untersten Schmodder auswischen und alles wieder zusammensetzten, neues Netz rein und "Deckel druff". Ich werde jeden Tag schwer an meine Schmerzensgrenze gebracht!
Nachmittags/Abends, wenn die Kinder aus der Schule kommen gibt es....RICHTIG! Wieder lernen! Kids English Club mit Bibelgeschichte. Es ist laut aber erträglich und die Kinder lernen überraschend schnell. Das Thema ist "What did you do in the summer?"
Danach bleiben einige einfach mit ihren Müttern zum Abendessen, denn kurz darauf geht es mit dem Kinder Gospelchor weiter. Eine japanische Christin, die durch ihre Liebe zum Gospel Gott gefunden hat, hat es sich zur Aufgabe gemacht die Liebe Gottes durch Musik an die Welt zu tragen und die Kinder machen voller Begeisterung mit. Im Hintergrund sitzen die Mütter und man kann nur hoffen, dass auch sie hören was ihre Kinder da singen. "I praise you, Lord Jesus Christ, and lift up your name!"
Wir machen später auch bei den Hope Youth Singers mit und lernen gleich ein Lied. "Because of who you are, I praise you!" Es macht echt ziemlich viel Spaß und ich werde auch für meine Stimme gelobt. :D
Heute ist Samstag. Normalerweise ist Samstag Morgen auch Kids English, aber heute ist eine Ausnahme, da wir eine kleine "Wanderung" mit den anderen Shorties unternehmen. Ich freue mich schon sehr darauf besonders weil am Ende des Ausflugs das Onsen (Heiße Quelle) steht! <3
Am Sonntag ist wieder Gottesdienst in der Inazawa Church. Es ist ein wunderschönes Gebäude. Es ist eine liebevolle kleine aber lebendige Missionsgemeinde und ich sehe das wohl bewegendste Bild bisher. Ein Mädchen, dass auch immer zum Open Hope kommt ist Taubstumm, aber sie kommt jedes Mal und auch in den Gottesdienst. Das ist nur möglich, weil ihre Mutter auch Christ ist. So kann sie während dem Gottesdienst ihrer Tochter auf Gebärdensprache übersetzen, was Rheinhard gerade in seiner Predigt sagt. Es hat mich so sehr berührt, weil ich denke, dass wenn eine Mutter bereit ist, ein Kind durch diese schwierige Zeit zu begleiten und zu fördern, ihre Tochter so zu lieben, dass sie ihre Sprache lernt um mit ihr reden zu können und ihr Gottes Wort zu erklären, wie unendlich groß muss Gottes Liebe zu uns sein.
So...Es ist Freitag. Freitag Abend um genau zu sein. In diesem Moment schaue ich auf die Uhr kurz vor 12...Also eigentlich fast Samstag. Es ist so ziemlich eine Woche her, dass das Programm in der Ai Hope Church so richtig los gegangen ist, deshalb ist jetzt abgesehen von der späten Uhrzeit her, die perfekte Zeit zum Blog schreiben, weil ich jetzt das Wochenprogramm erlebt habe, das so ungefähr jede Woche abläuft.
Sonntag Abend haben wir GT Sports. Für nur 1000 Yen (weniger als 10€) kann die Ai Hope Church die Sporthalle der Junior High School eine Straße weiter nutzen um Basuketto booru zu spielen. Obwohl der Termin der erste nach den Sommerferien ist und nicht offiziell bekannt ist kommen um die 34 Leute zum Sport und nachher gecrushtes Eis mit Syrup futtern. :P
Die durchschnittliche Arbeitswoche fängt mit Montag an. Bei uns nicht. Wir haben Montag frei. Es ist ein sehr schöner Tag, wenn man nicht arbeiten muss und vor allem macht er sich unglaublich gut um sich die Umgebung in der man ist mal ein wenig genauer an zu schauen. Also schnappen wir uns eine Inazawa Karte, unsere Fahrräder und ziehen los um die alten Häuser der Stadt zu bestaunen. Allerdings ist die Karte für Fußgänger ausgelegt und kaum blicke ich zwei Sekunden mal nicht auf die Karte sind wir auch schon an der eigentlichen Straße vorbei gerauscht. Aber so sehen wir dann doch noch ein bisschen mehr als geplant.
Wir wollen Mittagessen gehen und haben die Auswahl auf drei nebeneinander liegende Restaurants eingegrenzt. Das Auszählen bringt ein für mich ungünstiges Ergebnis was sich im Laufe des Essens bewahrheitet. Es ist extrem scharf (das muss bei meiner Intoleranz gegenüber jeglicher Schärfe jedoch nichts heißen), die Miso-suppe (fermentierte Bohnensuppe) wird mir mit jedem Mal unsympatischer und der Weizensaft mit dem wir es runterspülen müssen ist ....hwääähh.
Aber man lernt nie aus. Ich weiß jetzt welchen Ort und welches Essen ich die nächste Zeit meiden werde.
Danach gehen wir noch kurz einkaufen und dann probieren, was man denn da neuartiges über den Tag in dem Conbini und Superumaruketo ergattern konnte. Ich stelle mal wieder fest: Japaner machen aus allem Süßigkeiten. Egal ob das jetzt Reis, Bohnen oder grüner Tee sind. Am liebsten kommt auch noch alles zusammen.
Das ist jetzt ein Eis aus roten Bohnen... Das muss man mal gegessen haben!
Einmal im Monat recyclen die Japaner. Ein lustiger Tag. Ab 5 wird Müll getrennt, aber nicht bei sich zuhause, denn der Müll wird nicht beim Haus abgeholt sondern ein paar Straßen weiter, gewöhnlich in einem gelben Netz. Nicht so beim Recyclen. Nun machen sich ab 5 alle Japaner auf den Weg und der Marsch beginnt. Beladen mit aufgeschnittenen Milchtüten, Kartons, Zeitungen, Kleidern, Dosen und Glas geht es zum Sammelplatz.
Am Abend gehen wir in das Sento von Inazawa. (https://de.wikipedia.org/wiki/Sent%C5%8D)
Es ist im ersten Moment eine ziemliche Überwindung mal die deutsche Privacy hinter sich zu lassen und mit all den anderen Frauen nackt in die warmen Becken zu steigen, aber dann ist es herrlich. Ich probiere alles aus, was angeboten wird. Dampfsauna. Liegebecken. Das heiße Becken. Das heiße, HEIßE Becken (44°). Das KALTE Becken (15°). Das Becken mit dem lustigen Blubberwasser, das an deiner Haut Blässchen bildet und angeblich aus Deutschland kommt, aber ich habe noch nie davon gehört. ^^ Der Wassergang, ein langes Becken in dem man nicht ausruht sondern ....naja läuft! :) Tatami-Matten zum Abkühlen und dann natürlich DAS Becken. Es ist eigentlich ganz gewöhnlich, aber wenn man seine Hand zwischen zwei der Wände im Becken hält kribbelt es im ganzen Arm. Als Deutscher lernt man: Strom und Wasser -> schlechte Kombi weil Tod. In Japan sehe ich eine ältere Frau vollkommen entspannt mitten in diesem Strombecken sitzen! Es ist ziemlich cool, aber ich habe doch noch ein wenig Respekt vor dieser Art von Entspannung.
Dann lerne ich zum Abendessen wieder eine japanische Spezialität kennen: Tempura, fritiertes Gemüse. Eine gewagte Entscheidung: Wer mich kennt, weiß, dass ich nur rohes Gemüse mag...
Aber zumindest die Zwiebel schmeckt fritiert sehr sehr gut. Die Shrimps zwar auch, aber die fallen glaube ich nicht unter die Definition von "Gemüse".
Die ganze Zeit beobachten mich zwei ältere Herren an einem der Tische. Ich tue es zuerst als Höflichkeit der Japaner ab und nicke ihnen freundlich zu, aber die Art wie sie mich die ganze Zeit angrinsen finde ich doch etwas beunruhigend und bin froh als wir auf der anderen Seite der Papierwand unseren Tisch finden.
Alles in allem war es ein sehr sehr schöner erster freier Tag.
Der Dienstag trifft in jeder Form die Bedeutung seines Namens. Es ist Zeit zu Dienen auch in den unangenehmen Sachen und das bedeutet: Putztag! Die Liste ist lang und ich perfektionistisch was das ganze nicht unbedingt ...leichter macht. Es macht es sogar ungemein schwer, weil ich natürlich beschließe, dass es nichts bringt das Wischen nur mit dem Mob zu machen (Damit schiebt man den Dreck ja nur hin und her). Sowas muss mit der Hand gemacht werden...! Die nächsten Stunden lassen sich kurz zusammen fassen: Ich schrubbe den Eingangsbereich der Ai Hope Church bis die Quadrate strahlen. Und also ehrlich...Man sieht doch den Unterschied oder?? (rechts ist geputzt, links noch nicht :D) Man muss an dieser Stelle hinzufügen: Jede Überstunde war freiwillig! ^^
Aber da man Inazawa ja nie gut genug kennen lernen kann, zumindest nicht in den ersten zwei Wochen beschließen wir um 8 Uhr Abends (Es ist stocken duster) noch eine kleine Tour mit dem Fahrrad zu machen. Es ist nicht so, dass wir einen Plan hätten...Eigentlich genau das gegenteil: Unser Plan ist: Dahin fahren wo wir noch nie waren, wo wir uns nicht auskennen und wo es so dunkel wie möglich ist. Wir haben jede Menge Spaß. Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei den Leuten neben dem Schrein (Wir haben eurem Hund nichts getan...Wir sind vielleicht nur ein bisschen nah ran gegangen um den Schrein anzuschauen), dem Mann auf dem Fahrrad (falls sie sich gefragt haben, wer diese zwei Vollpfosten sind, die um diese Uhrzeit Schreine fotografieren) und den Jungen auf dem dunklen Weg zwischen den Reisfeldern (Ich wollte wirklich nur nett sein, aber du wirktest ein wenig eingeschüchtert nachdem diese blonde Gaijin dir ein "Konbanwa" entgegen gegrinst hat).
Wir haben den Weg dank meinem brillianten Orientierungssinn auch nach Hause gefunden.
Mittwoch lief hauptsächlich die letzten Punkte von der Putzliste streichen und die Sprachklassen vorbereiten, die am Abend stattfinden sollen. Ich habe einen produktiven Schub während unten die Besprechung der Pastoren in Inazawa läuft und klebe mein Kunstwerk zusammen was die folgenden Tage mit Bestandteil der Evangelisierung der japanischen Bevölkerung werden soll.
Made of bottle tops (ursprünglich waren sie auf dem Weg zum Recycling...Ich hatte andere Pläne :D)
Ab 5 kommt Sayuri-san zum kochen für das Open Hope. Ein Ort für jeden der kommen will, mit warmen Abendessen für nur 100 Yen, Spielen, Sprachklassen, Bibellesen und Gemeinschaft.
Hier lerne ich meine erste Schülerin kennen, die in die 6. Klasse geht, was in Japan noch Grundschule ist. Wir machen nur wenig Unterricht und zum Glück ist Jörg zum Anleiten und Übersetzen da, denn ich habe noch keine Ahnung und von Japanisch erst recht keinen Schimmer.
Das ist auf jeden Fall ein Gebetsanliegen für die Zukunft!
Jeden Mittwoch kommen auch 3 Jungs in die Ai Hope Church, die "halbe" Dropouts sind, wie ich sie nenne. 17, 17 und ich würde schätzen 19 oder 20. Sie haben die Schule geschmissen und arbeiten jetzt als Fabrikarbeiter. Sie glauben alle nicht an Gott, aber sie kommen jede Woche und essen mit uns und spielen dann Yu-Gi-Oh!. Der ältere erklärt uns über seinen kleinen Bruder: "He..is..äh...champion! He is...very strong!"
Yutarou hat sie inzwischen so weit, dass er mit ihnen jede Woche 10 Minuten in der Bibel liest. Diese Woche schaut er mich an: "Miria. You come too and learn Hiragana!" Er drückt mir eine japanische Bibel in die Hand. Was er meint ist: Jeder liest nach einander einen Vers.
Das heißt ICH AUCH. Ich stottere vor Aufregung und vertue mich ständig in den Zeilen. Dann wieder kann ich Zeichen nicht erkennen ...Ich würde am liebsten im Boden versinken. Es ist nun mal keine leichte Mischung: Fremde + Jungs + Nichtchristen + Bibel + Japanisch + klein + von rechts nach links + von oben nach unten + Wörter werden nicht getrennt + Aufregung + Ich verstehe kein Wort.
Judith hilft mir netter Weise aber irgendwann habe ich den älteren soweit, dass er selber die Bibel in die Hand nimmt um nach zu schauen was ich gerade vorgelesen habe und kommt und mir Wort für Wort vorsagt, wie ich das ganze aussprechen muss. Ich entschuldige mich jedes Mal wenn ich fertig bin, aber sie grinsen nur und ich kann die Worte "Miria" "gomenasai" (entschuldigung) "nihon-go" (Japanisch) und "kawaii" (süß) verstehen....^^
Ich merke außerdem dass es mir physische Schmerzen bereitet selbstständig Japanisch zu reden, weil ich mich so anspanne, dass mir danach jeder Muskel weh tut.
Ich wünsche diesen drei so sehr, dass sie wirklich verstehen, was sie da mit Yutarou lesen. Er hat mich schon vorgewarnt. Nächste Woche machen wir das wieder!
Donnerstag ist erstmal sehr frei. Wir haben Gebetsrunde mit Yutarou dann geht jeder an seine Arbeit und ich....gehe einkaufen!
Ich soll nämlich einen Kuchen backen für die Coffe,Tea&Talk Runde am Freitag Morgen. Eine Art "Frühstückstreffen" für Frauen, die sich zusammen setzten, Kuchen essen, Kaffee und Tee trinken und wie eine kleine Gesprächs- und Bibelleserunde haben.
trotz Panik im japanischen Supermarkt, weil ich die Sahne nicht finden kann (Sayuri-san läuft mir in diesem Moment über den Weg und weißt mir den Weg zum Ziel! :D), japanischem Ofen von 1950 (gefühlt) und absolutem Chaos in der Küche (was ich allerdings selber verbrochen habe) kommen zwei ganz ordentliche Kuchen zustande!
Ich habe noch ein wenig Zeit zum Abendessen, denn dann startet meine zweite Sprachklasse. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft, die etwa so alt sind wie mein Vater, wollen ihre Englischkenntnisse aufbessern. Die zwei sind super nett und freundlich und wir haben eine richtig gute Zeit, aber auch hier ist Dorothea noch dabei und ich hoffe, dass ich das alleine hin bekomme.
Gestern war Freitag. Jetzt ist Samstag um viertel nach eins morgens.
Gestern also. Die Coffee,Tea&Talk-Runde war sehr schön. Zwei waren Christen, die anderen 5 nicht, aber das ist das erstaunliche in Japan. In Deutschland wäre eine solche Runde nicht möglich, ohne dass ein Kleinkrieg zwischen allen beteiligten entsteht. Wir lesen in der Bibel, reden über den Vers und diskutieren (nach einigen Anlaufschwierigkeiten in meiner Gruppe, weil halt kein Japanisch, sondern Englisch) über Vergebung, Glaube und Gebet. Die beiden Kuchen, die ich gebacken habe schmecken allen super und ich bekomme noch am Abend eine facebook Nachricht von einer Frau, die unbedingt mit mir schreiben will und sich für meine Arbeit bedankt. Da geht einem das Herz auf!
Weil ich ja nicht alleine wohne ist nach dem Mittagessen Zeit das Haus zu putzen und egal wie toll ich das japanische Badezimmer auch finde: Es ist ätzend es zu putzen!
Das gleiche gilt für das Waschbecken, weil der Abfluss auch gereinigt werden muss und das geht nicht mal so eben gerade, zack Ding ausgeleert in den Kompost oder so: Nein! Erst mal das schwarze Ding weg, dann das Netz, wo die ganzen ekligen Dinge drin hängen rausmachen und weg schmeißen, dann das Plastikteil das ganz schmierig ist rausholen und "säubern", dann noch tiefer rein greifen und wie bei dem Tankdeckel ein weiteres Plastikteil raus drehen säubern, den ganzen Abfluss bis zum untersten Schmodder auswischen und alles wieder zusammensetzten, neues Netz rein und "Deckel druff". Ich werde jeden Tag schwer an meine Schmerzensgrenze gebracht!
Nachmittags/Abends, wenn die Kinder aus der Schule kommen gibt es....RICHTIG! Wieder lernen! Kids English Club mit Bibelgeschichte. Es ist laut aber erträglich und die Kinder lernen überraschend schnell. Das Thema ist "What did you do in the summer?"
Danach bleiben einige einfach mit ihren Müttern zum Abendessen, denn kurz darauf geht es mit dem Kinder Gospelchor weiter. Eine japanische Christin, die durch ihre Liebe zum Gospel Gott gefunden hat, hat es sich zur Aufgabe gemacht die Liebe Gottes durch Musik an die Welt zu tragen und die Kinder machen voller Begeisterung mit. Im Hintergrund sitzen die Mütter und man kann nur hoffen, dass auch sie hören was ihre Kinder da singen. "I praise you, Lord Jesus Christ, and lift up your name!"
Wir machen später auch bei den Hope Youth Singers mit und lernen gleich ein Lied. "Because of who you are, I praise you!" Es macht echt ziemlich viel Spaß und ich werde auch für meine Stimme gelobt. :D
Heute ist Samstag. Normalerweise ist Samstag Morgen auch Kids English, aber heute ist eine Ausnahme, da wir eine kleine "Wanderung" mit den anderen Shorties unternehmen. Ich freue mich schon sehr darauf besonders weil am Ende des Ausflugs das Onsen (Heiße Quelle) steht! <3
Am Sonntag ist wieder Gottesdienst in der Inazawa Church. Es ist ein wunderschönes Gebäude. Es ist eine liebevolle kleine aber lebendige Missionsgemeinde und ich sehe das wohl bewegendste Bild bisher. Ein Mädchen, dass auch immer zum Open Hope kommt ist Taubstumm, aber sie kommt jedes Mal und auch in den Gottesdienst. Das ist nur möglich, weil ihre Mutter auch Christ ist. So kann sie während dem Gottesdienst ihrer Tochter auf Gebärdensprache übersetzen, was Rheinhard gerade in seiner Predigt sagt. Es hat mich so sehr berührt, weil ich denke, dass wenn eine Mutter bereit ist, ein Kind durch diese schwierige Zeit zu begleiten und zu fördern, ihre Tochter so zu lieben, dass sie ihre Sprache lernt um mit ihr reden zu können und ihr Gottes Wort zu erklären, wie unendlich groß muss Gottes Liebe zu uns sein.
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