お正月 ・ RESTART ・ Das neue Jahrzehnt in Japan
Der Holzhammer ist schwerer als ich erwartet hatte. Ich greife mit der rechten Hand nah an den Kopf des Hammers und hebe ihn kurz an, um ihn dann mit Wucht auf den weichen Reishaufen niedersausen zu lassen. "Jawoll" höre ich die Japaner hier nach jedem Schlag sagen. Der Trick ist den Hammer mit der linken Hand zu führen und mit rechts nur zu stabilisieren. Mir tun bereits nach wenigen Schlägen die Arme weh, aber zum Glück kann ich mich hier schnell aus der Affäre ziehen. Das Reisverkloppen ist eigentlich Männersache. Aber ich jetzt immerhin von mir behaupten schon mal selber beim mochitzuki den Hammer geschwungen zu haben.
お正月 Oshougatsu - Silvester
Wir befinden uns nun offiziell im Jahr 2020. Auch in Japan hat das neue Jahr begonnen, auch wenn die Feierlichkeiten hier etwas ruhiger zugehen als an manch anderen Orten.
Ich habe dieses Jahr mit meiner Gastfamilie gefeiert. Im Vorhinein hatte ich etwas Bauchschmerzen, wie sich dieser Abend entwickeln würde, aber zunächst begann der Abend sehr entspannt mit einem leckeren Abendessen und dem traditionellen Neujahrskonzert, bei dem sich alles, was Rang und Namen in der Entertainment Szene hat, versammelt und ein Feuerwerk an Performances abgeliefert wird.
除夜の鐘 Joyanokane - Das Neujahrsläuten
Auch in Deutschland kennen wir die Tradition, dass Kirchenglocken an bestimmten Feiertagen läuten. Hier in Japan werden auch Glocken zum Klingen gebracht, aber nicht in Kirchen, sondern in den buddhistischen Tempeln. Die Glocke wird kurz vor Mitternacht 108 Mal geläutet und man kann sich in eine Liste eintragen lassen, um einen dieser Glockenschläge selber zu übernehmen. Vor der Glocke kann man Räucherstäbchen entzünden, dann schlägt man die Glocke, wirft Geld in den Kasten, der daneben steht und spricht ein kurzes Gebet. Die 108 Schläge symbolisieren die 108 Sünden, von denen der japanische Buddhismus ausgeht und das Läuten der Glocke soll somit reinigend wirken für das kommende Jahr.
An dieser Stelle wurde es für mich heikel. Ich gehe mit in die Tempel und Schreine und an diesem Abend war es mir besonders wichtig, dabei zu sein und diese Tradition mitzuerleben. Aber als mich meine Gastfamilie davon überzeugen wollte, auch die Glocke zu läuten, musste ich sie enttäuschen. Ich hatte daraufhin ein ernstes Gespräch mit meiner Gastmutter darüber, dass man andere Religionen respektieren sollte. Auch der buddhistische Priester habe an einer christlichen Hochzeit teilgenommen. Ich habe mich entschuldigt und gesagt, dass so wie der Priester in einem Gottesdienst war, ich auch gerne dabei sein möchte, wenn sie ihre Religion praktiziert, aber dass ich ebenso wie der Priester, der nicht zu Jesus beten und das Kreuz schlagen wollte, auch nicht die Glocke läuten kann. Das hat sie wohl eingesehen, aber ich merke, dass sie trotzdem anders denkt. Ich habe gesagt, dass ich die japanische Kultur kennen lernen möchte. Aus ihrer Sicht gehört die Teilnahme an solchen Ritualen auch zum Lernprozess und meine Weigerung hat sie als Respektlosigkeit aufgefasst.
御節料理 Osechi Ryouri - Neujahrsgerichte
Am nächsten Morgen gab es dann Osechi Ryouri, das traditionelle Neujahrsessen. Dieses Essen wird in der Regel im Kreise der Familie gegessen und entweder von der Frau des Hauses die Tage vor Silvester zubereitet, oder bereits Wochen zuvor in Supermärkten o.ä. vorbestellt. Je nach Lage und Familie unterscheidet sich dieses Essen natürlich. Meine Gastmutter hat sich für die raffinierte Variante entschieden, Teile selber zu kochen und Teile im Supermarkt zu kaufen und selber in die dafür vorgesehenen Jubako zu tun. Vor dem Essen gab es die "Medizin", ein Kräutergetränk, dass der Reihe nach vom Jüngsten bis zum Ältesten getrunken wird und Kraft und Gesundheit für das kommende Jahr bringen soll.
お雑煮 Ozouni - Neujahrssuppe
Auch diese Suppe mit Fisch, Gemüse und mochi (Reiskuchen) durfte bei diesem Neujahrsfrühstück natürlich nicht fehlen.
年賀状 Nengajou - Die Neujahrskarten
Die Post arbeitet auch am 1. Januar mit Höchstleistung. Viele Familien senden in den Wochen vor Neujahr die nengajou an Freunde und Familie. Auf diesen Karten sind dann Glückwünsche für das neue Jahr abgedruckt. Man kann bereits fertige Karten kaufen, manche Familien werden aber auch selber kreativ und gestalten ihre Karten selber. Die Post liefert diese Karten dann genau am 1. Januar an alle Haushalte aus.
初詣 Hatsumou - Erster Besuch im Tempel/Schrein
Mittags bin ich mit meiner Gastmutter zu dem Schrein auf dem Hügel in unserer Nachbarschaft gegangen. Mitten in einer Wohnsiedlung erhebt sich dieser Schreinberg von dem man eine sehr gute Sicht über die Stadt hat. Ich hinterfrage nicht mehr, wie man an einem Tag zum buddhistischen Tempel und am nächsten Tag zum shintoistischen Schrein gehen kann. Es ist Tradition, es ist schön. Man sieht keinen Widerspruch in dieser Verbindung. Alles ist eins und das eine die Ergänzung des anderen.
Während dieser Schrein aber relativ leer war, fanden wir bei einem anderen Schrein in der Nachbarschaft eine lange Schlange von Menschen, die alle anstanden, um vor dem Allerheiligsten die (hier an einem Seil befestigten) Glocken zu läuten und Gebete für das kommende Jahr zu sprechen.
Der Blick zurück und der Blick nach vorne
Ich bin jetzt genau 3 Monate und einen Tag in Japan. Es gibt immer wieder Momente, die mich durchschütteln, Situationen, die ich nicht verstehe und auch ehrliche Momente, in denen ich mich frage, was um alles in der Welt ich hier tue. Aber es mehren sich gleichzeitig die Begegnungen, in denen ich erlebe wie Gott wirkt. Ich höre Geschichten von Menschen, die in diesem Jahr Gott kennen gelernt haben und wie er ihr Leben verändert hat. Und ich erlebe selber, wie er mich stärkt, mir Mut macht und meine Hand nicht loslässt, wenn ich mal wieder dabei bin, ihm meinen Frust vor die Füße zu schmeißen. Ich habe jetzt noch 9 Monate (wenn sich da nicht noch was tut) und mein Wunsch für dieses Jahr ist natürlich zum einen so viel Japanisch zu lernen wie möglich. Mein anderes Projekt bleibt für jetzt ein Geheimnis. Darum soll es als nächstes gehen, deshalb will ich nicht zu viel verraten.
Wir befinden uns in einem Jahrzehnt in dem vieles passieren wird. Ich wünsche uns allen einen guten Start in dieses neue Jahr, offene Augen für die Menschen, um uns herum und vor allem die Gewissheit, dass Gott in all dem bei uns ist und uns nicht loslässt.
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