Iga Chouhou*

Das kleine Farmerhaus lag friedlich und unter Kirschbäumen im Licht der aufgehenden Sonne. Der Tau glitzerte noch auf den Grashalmen. Bald würde die Hitze jeden Tropfen verdunsten lassen, aber noch war die Luft frisch und klar und nur das Zirpen der ersten Grillen war zu hören.
Ein alter Mann lief gebeugt und auf seinen Stock gestützt einen der schmalen Wege zwischen den Reisfeldern entlang. Sein Gesicht war von einem großen Strohhut vor der Sonne geschützt und seine Füße steckten in durchgelaufenen Strohsandalen. Auf seinem Rücken trug er nicht mehr als ein Tuch in dem die wenigen Habseligkeiten eingewickelt waren, die er besaß, aber die letzten Körner Reis, die er sich aufgespart hatte, waren verborgen in einer Falte seiner Kleidung. Er bog auf den Weg ein, der zu dem Haus unter den Kirschbäumen führte und legte eine Hand auf seine Brust. Das Herz schlug ihm bis zum Hals als er die vertrauten Giebel, den kleinen Hof vor dem Haus, die Ställe und die ... Mit einem Ruck fuhr er hoch und war einen Augenblick später verschwunden.
Aus seinem Versteck unter dem Busch am Wegesrand, das sie eigens für diesen Zweck vor einem Jahr angelegt hatten und bei dem er immer gehofft hatte, dass es nie in Verwendung kommen würde, konnte er eine Bewegung bei einem der Bäume feststellen und darüber in den Zweigen flatterte ein einzelnes weißes Band, kaum zu sehen hinter den aufgegangenen Blüten, aber für ihn nicht mehr zu übersehen. Wer auch immer dort zwischen den Bäumen stand und wartete war mit Sicherheit nicht für einen netten kleinen Schwatz vorbei gekommen und Gou scannte seine Umgebung mit Adleraugen ob er noch andere unerwartete Gäste hatte.
Ewigkeiten vergingen und der Boden begann vor seinen Augen zu flimmern von der Sonne, die jetzt unerbittlich von einem strahlend blauen Himmel schien. Stocksteif, ohne einen Muskel zu bewegen lag er auf der Erde und behielt die zwei Bäume im Blick. Die Äste gaben zwar einigen Schatten, aber ansonsten war der Mann hinter dem Stamm der Hitze gnadenlos ausgeliefert. Kein kluger Schachzug, aber Gou hütete sich stets davor seinen Gegner zu unterschätzen. Überheblichkeit war der erste Schritt in die Falle. Er hielt seinen Atem flach um keinen Staub aufzuwirbeln und presste sich noch fester gegen den Boden. Der Schweiß lief ihm am Rückgrad runter und kitzelte sein Haut, aber er nahm seine ganze Konzentration zusammen und zog das Fukidake aus seinem Gürtel.
Für den Augenblick konnte er nichts machen, außer sich versteckt zu halten und darauf zu warten, dass sich der Eindringling rührte und wenn es soweit war, wollte er bereit sein. Seine Position war in keinem Fall optimal um einen Treffer zu erzielen, aber es war vielleicht seine einzige Chance lebend aus diesem Dilemma zu kommen. Der Himmel wusste, wie viele Männer sich in den Schatten der Stallungen, Bäume und Büsche verbargen.
Die Gedanken liefen Amok in seinem Kopf. Wie waren sie aufgespürt worden? Was gesucht wurde war ihm gleich klar geworden und mit Erleichterung stellte er fest, dass die Erinnerung ihn noch nicht verlassen hatte. Er sah auf den Einschnitt auf seinem Handrücken und augenblicklich fielen ihm die Worte wieder ein, die so schwer zu behalten gewesen waren.*
Eine plötzliche Bewegung ließ ihn unwillkürlich auffahren, aber als seine Augen nach dem Ursprung seiner Verwirrung suchten erkannte er die vertraute Gestalt von Kenta-kun, der sich lautlos und fast unsichtbar, durch seine olivgrüne Farmer Kleidung,  in erstaunlichem Tempo über den Hof bewegte. Genau auf die Bäume zu. Gou riss die Augen auf. Ein Blinken in seinem rechten Augenwinkel. Seine Gedanken setzten aus und sein Körper übernahm die Führung. Griff. Hu. Schuss. Treffer.
Der Mann, der nur Sekunden vorher aus seinem Versteck vom Dach des Stalls gesprungen war, war im Sturz von Gou am Fuß getroffen worden und hatte eine unschöne Landung hingelegt. Gou erkannte seine Gelegenheit. Mit einem Satz war er auf den Beinen, bei dem Gestürzten und hatte ihn mit einem gezielten Tritt zwischen die Rippen außer Gefecht gesetzt. Der junge Mann trug die einfache Kleidung der Landleute, aber das hatte nichts zu bedeuten. Das Katana* an seiner Seite bewies, dass er ein Samurai war. Vermutlich noch nicht sehr lange, aber sicherlich vielversprechend, wenn er dazu beauftragt worden war, die Mitglieder des Iga Clans zu überfallen.
Gou sah hinüber und sah, dass sich Kenta und der Mann hinter den Bäumen einen verzweifelten Kampf lieferten. Kenta war nur mit einem Seil bewaffnet, während der Mann, den Gou auch von weitem als hervorragenden Schwertkämpfer erkennen konnte, mit seinem Katana nach Kenta zielte, der noch mit tänzelnden Schritten ausweichen konnte.
Gou sah sich um. Nicht, dass er ebenso zu Boden ging, wie der junge Samurai vor seinen Füßen.
Er packte den Verletzten bei den Schultern und zog ihn in den Schatten. Mit geschickten Fingern band er ihm mit einem Seil, dass jederzeit griffbereit an einer Seite der Stall-wand hing, die Hände und Füße so auf den Rücken, dass es ihm unmöglich sein würde, sich zu befreien, gesetzt dem Fall, dass er überhaupt aufwachte. Viel Zeit würde ihm das Gift in seinem angeschossenen Knöchel nicht geben.
Gou zog zwei Blätter, die er während dem Warten vom Busch gezupft hatte, vorsichtig darauf bedacht, dass die Zweige sich nicht bewegten, hervor und öffnete, nach einer leichten Bewegung mit den Blättern durch einen der Schlitze zwischen den Latten der Wand, lautlos die Geheimtür des Stalls und schlüpfte in die angenehme Kühle der Schatten und verharrte einen Augenblick und lauschte nach Geräuschen, die einen anschleichenden Gegner verraten würden. Nach einer Minute tastete er sich vorsichtig an der Wand entlang und wagte kaum zu atmen, bis er endlich die Stelle der Wand spürte, die unter dem Druck seiner Hand nachgab und ihn in den kleinen Beobachtungsraum neben der Tür treten ließ. Von außen unterschied sich die Wand dieses Raumes nicht von denen der anderen Räume, aber wenn man näher an die Latten trat, konnte man durch den kleinen Schlitz jede Bewegung beobachten, die draußen getan wurde, ohne selbst gesehen zu werden.
Draußen sah er wie Kenta und der Fremde sich umkreisten wie hungrige Geier. Beide schienen erschöpft, ob von der Sonne oder vom Kampf war nicht fest zu stellen. Vermutlich beides.
Gou biss die Zähne zusammen als der Mann mit einem plötzlichen Ausfallschritt das Schwert nach vorne schnellen ließ und für einen Moment sah es so aus, als wäre Kenta in der Bauchgegend getroffen, doch dann wirbelte dieser herum und ehe der Samurai begreifen konnte, wie ihm geschah, hielt er sich das Schwert an den eigenen Hals. Kenta hatte mit dem Seil das Katana zu fassen bekommen,  das eine Ende des Seils mit einer schnellen Bewegung um den Hals des Mannes gelegt und fest gezogen. Gou konnte den Schrecken in den Augen des Fremden sehn. Sie wussten alle, dass es für ihn vorbei war. Er machte noch einen letzten Versuch mit seiner freien linken Hand nach Kenta zu greifen, als dieser ihn gegen den Kopf schlug und die Hand, die nach ihm ausgestreckt war, packte. Instinktiv fuhr die Hand des Mannes vom Schwert zu seiner Stirn. Mehr brauchte Kenta nicht. Er packte die Klinge die durch das Seil gebunden noch am Hals des Mannes lag und zog es mit Schwung durch die Haut seines Gegners.*
Schwer atmend stand er an einen der Stämme gelehnt, während der Mann ächzend neben ihm zusammen sank und sich nicht mehr bewegte.
Gou horchte erneut ob sich noch jemand mit Kenta oder ihm anlegen wollte und trat, als er nichts Verdächtiges hören konnte, aus dem Beobachtungsraum. Mit geübten Bewegungen fuhr sein Fuß über den Dielenboden und öffnete die Verriegelung. Blitzschnell zog er sein eigenes Katana aus dem Geheimversteck unter den Brettern, band es an seine Hüfte und trat wieder in einen der Schatten.
Der Ruf einer Amsel lies ihn zusammen fahren. Er sah Kenta versteckt hinter den Bäumen. Dann ein Sirren an seinem Ohr und Kenta's Stöhnen, als der Shuriken ihn zwischen den Schulterblättern traf.
Gou hielt den Atem an und überlegte fieberhaft was er tun sollte. Er warf einen letzten Blick auf Kenta, der den Stamm nach unten gerutscht war und nur noch flach zu atmen schien, dann trat er zurück, die Wand drehte sich und er stand in der Dunkelheit. Ein weiterer Schritt und eine kleine Tür am Boden schob sich zur Seite. Der Geruch von abgestandener Luft drang ihm entgegen. Er sah nichts, aber das brauchte er auch nicht. Er kannte die unterirdischen Gänge des Geländes wie seine Westentasche. Er schloss die Tür hinter sich und lief geduckt, während sein Herz schmerzhaft in der Brust schlug. Er konnte niemandem vertrauen. Der Feind war von innen informiert worden und Kenta war nicht das eigentliche Ziel gewesen. Das Ziel war er, oder besser die Nachricht in seinem Kopf und die galt es zu beschützen. Nach ein paar Minuten absoluter Dunkelheit drang das schwache Licht der Welt draußen durch die mit Moos bedeckte Geheimtür am Ende  des Tunnels und Gou griff nach seinem Schwert als er vor der Tür stehen blieb, lauschte und sie dann vorsichtig öffnete. Er sah nicht zurück, als er das Pferd des Bauern von seinem Pflog losband und die gewundene Straße in Richtung Berge einschlug.

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