Tag 6 - Herr, lass sie eins sein

18:48 - 23° - Armenisches Viertel/ Jerusalem

Die Luft ist schwer vom Weihrauch, der von allen Seiten aus den Kapellen zu drängen scheint.
Menschen aus den verschiedensten Nationen schieben sich an mir vorbei und ab und an kann ich auch einen Blick auf einen der Priester und Mönche erhaschen.
In jeder Ecke hat eine andere Denomination ihren Ort an dem sie anbeten können. An einer Stelle sehe ich wie eine Frau sich unter einen Altar kniet und den großen Fels berührt der unter einer Glasscheibe zu sehen ist. 
An einer anderen Stelle steht eine lange Schlange an um in die Gruft zu kommen, in welcher Jesus begraben worden sein soll. Als ich wieder nach draußen trete muss ich kurz gegen die helle Sonne blinzeln. Die Grabeskirche in Jerusalem. Ein dampfender Kessel der christlichen Welt. 

Da wir gestern vor allem das jüdische Leben Jerusalems entdeckt haben, waren wir heute auf den Spuren der christlichen Geschichte unterwegs. Das Ganze begann mit der Fortsetzung des Stadtmauer Rundgangs. Dieses Mal aber an der Seite des christlichen und muslimischen Viertels.
Es war dieses Mal sogar noch beeindruckender, da wir die meiste Zeit über die Häuserdächer blicken konnten und man sich dabei wie der allwissende Erzähler einer Geschichte fühlt, der über den Dingen schwebt, vollkommen unabhängig von dem Geschehen unter seinen Füßen.
Anschließend waren wir im Garten Gethsemane und in der Begräbniskirche der Maria. Natürlich sieht heute nichts mehr so aus, wie es zu Jesu Zeiten mal ausgesehen hat und der Garten ist heute auch wirklich ein Garten und kein freier Olivenhain mehr.
Es gibt hier sehr viele interessante Kirchen (und ich muss wohl oder übel zugeben, dass es hier wesentlich mehr Kirchen gibt als in Marburg, auch wenn das schwer zu glauben ist)^^, die alle auf besonderen Orten erbaut sind, die für die Christenheit auch nur von peripherer Bedeutung sein könnten. Beispielsweise das Elternhaus der Maria (das mit ziemlicher Sicherheit nicht in Jerusalem war), oder eine Kirche an der Stelle, an der Jesus seiner Mutter mit dem Kreuz begegnet sein soll.
Eine alte römische Zisterne
Ich kann mit diesen Stationen nichts anfangen und ich kann nicht verstehen, warum es für Menschen wichtig sein soll, solche Orte zu haben, aber ganz offensichtlich ist genau das der Fall.
In der Begräbniskirche der Maria, die heute der griechisch-orthodoxen Kirche gehört, wurde an einer Stelle eine Figur der Maria geküsst, bevor man auf Händen und Füßen unter dem Altar hindurch krabbelte.
Zurück in der Innenstadt setzte sich mein Vater dann ab, um auf eigene Faust den Botanischen Garten zu erkunden. Wir erwarten ihn in zwei Tagen wieder zurück.:D
Kurz nach dem Lions Gate neben dem Tempelberg kann man sich die Ausgrabungen der Bethesda Becken anschauen, die in Johannes 5 erwähnt werden, als Jesus einen Gelähmten heilt.
Verschiedene Jahrhunderte und Kulturen haben dieser Städte ihre Stempel aufgedrückt und ein Gewirr aus Bögen und Zisternen hinterlassen, die beeindruckend anzuschauen sind.
Der glorreiche Abschluss war dann der Besuch der Grabeskirche, in der die vielen unterschiedlichen Denominationen ihren Platz haben, um Gottesdienste zu feiern und an Tod und Auferstehung Jesu zu erinnern.
Grabeskirche
Für manche ist dann allerdings doch kein Platz mehr in der Herberge. Zum Beispiel die Evangelischen oder die Äthiopier (Weggegangen, Platz gefangen). Jetzt haben letztere es sich auf dem Dach bequem gemacht.
Ich persönlich hätte ja gerne das Felsengrab und den Felsen einfach so gehabt, statt eine gigantische Kirche darauf zu bauen, sodass man nichts mehr davon sieht, aber auch das hat seine Berechtigung.
Und auch wenn es so gar nicht mein Zugang ist und es mir dementsprechend schwer fällt, mich bei dem ganzen Trubel auch noch an den zu erinnern, um den es da ja eigentlich die ganze Zeit geht, wünsche ich mir echt, trotz meiner Soziophobie, mal mit Menschen aus diesen Glaubensrichtungen ins Gespräch zu kommen, um mehr verstehen zu können, was sie für Vorstellungen und Werte in ihrem Glauben haben, weil wir immer noch Glaubensgeschwister sind und ich nicht zu schnell über etwas urteilen will, von dem ich nicht viel weiß. Gerade Kirchengeschichte hat mir im vergangenen Jahr viele Male aufgezeigt, was es mit der Geschichte des Christentums und seiner Strömungen auf sich hat.
Ein Beispiel hat mich persönlich sehr ermutigt: Die griechisch-orthodoxe Kirche geriet in Streit mit der katholischen Kirche über die Mission der Slawen, da sie im Gegensatz zu ihren italienischen Kollegen zur Mission die Sprache des gemeinen Volkes benutzen und nicht das Lateinische. Im Fall der Slawen gab es zwar die Sprache, aber kein festes Alphabet und so erfanden die griechisch-orthodoxen Missionare abgeleitet vom Griechischen das kyrillische Alphabet.

Das Entscheidende ist letzten Endes nicht, ob wir liegen, stehen, sitzen oder tanzen, wenn wir beten. Ob wir in einem Raum voller Weihrauch, oder in einer unterirdischen Grotte stehen. Das Wichtigste ist, das Jesus dabei ist und das war er damals sowohl im Tempel, als auch in einer kleinen Viehhöhle.

P.S. Ein dickes Dankeschön für die tollen Bilder und dass ich deinen Computer benutzen durfte! :D

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